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Tagebuch eines Engels

Tagebuch eines Engels

Titel: Tagebuch eines Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolyn Jess-Cooke
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musste. Bisweilen musste ich dabei weinen, und dann kam James und nahm mich in den Arm. Einmal erzählte er mir, dass er eine Botschaft in seinen Flügeln hatte, die besagte, dass alles, was Theo erlebt hatte, ihn letztendlich zu dem Menschen machen würde, der er werden sollte, und dass sich alles zu seinem Vorteil entwickeln würde.
    Ich brachte es nicht übers Herz, ihm zu sagen, dass ich bereits gesehen hatte, was genau aus Theo werden würde. Grogor hatte ja dafür gesorgt, dass ich das komplette grauenvolle Bild von Theo als Erwachsenem zu sehen bekam.
    Und dann ein Durchbruch.
    Ich wiederholte meine Beschreibungen wohl zum fünfzigsten Mal, als Margot mich plötzlich mitten im Satz unterbrach. Sie und Theo saßen am Küchentisch, schlugen Eier auf und strichen Butter auf Toast.
    Â»Sag mal, Theo«, sprach sie, in Gedanken versunken. »Habe ich dir eigentlich schon mal erzählt, dass ich acht Jahre meines Lebens in einem Waisenhaus verbracht habe?«
    Er runzelte die Stirn. »Nein.«
    Â»Oh.«
    Sie biss in ihren Toast. Er starrte sie an. »Warum warst du in einem Waisenhaus?«
    Sie kaute und dachte nach. »Weiß ich gar nicht so genau. Ich glaube, meine Eltern sind von einer Autobombe getötet worden.«
    Â»Von einer Autobombe??«
    Â»Ja. Glaube ich. Ich kann mich nicht genau erinnern. Ich war damals noch so klein. Ich war so alt wie du, als ich endlich ausgerissen bin.«
    Das weckte Theos Interesse. Er starrte auf die Tischplatte und redete sehr schnell. »Warum bist du weggelaufen? Haben sie dich nicht gekriegt?«
    Und so erzählte sie ihm ohne jede Beschönigung von ihrem ersten Fluchtversuch, der zu einer fast tödlichen Tracht Prügel geführt hatte, von der Gruft – über die er alle erdenklichen Einzelheiten hören wollte – und von ihrem zweiten Fluchtversuch, bei dem sie erwischt wurde, und wie sie Hilda gegenüberstand und sie diese Dinge über Marnie fragte.
    Theo sah seine Mutter mit großen Augen an.
    Frag ihn, was er im Knast erlebt hat, forderte ich sie auf.
    Sie wandte sich ihm zu. »Weißt du, Theo, das war nicht das erste Mal, dass ich geschlagen wurde. Und auch nicht das letzte.« Unwillkürlich drängte eine Erinnerung an Seth an die Oberfläche, und mit ihr die Tränen. Sie dachte an das Baby, das sie verloren hatte. James näherte sich Theo und legte ihm den Arm um die Schultern.
    Â»Theo«, sagte sie sehr ernst. »Ich weiß, dass dir in dem Jugendknast auch einige schlimme Dinge passiert sind. Und ich möchte, dass du mir erzählst, was genau – denn ich schwöre bei Gott, mein Junge, dass ich herausfinden werde, wer dir das angetan hat, und ich werde sie dafür zur Verantwortung ziehen, verlass dich drauf.«
    Theo lief dunkelrot an. Er starrte auf seine flach übereinander auf dem Tisch liegenden Hände. Wie in Zeitlupe zog er sie vom Tisch und setzte sich auf sie.
    Dann stand er auf und ging hinaus. Was ihm passiert war, war so unaussprechlich, dass er dachte, er sei es, mit dem etwas nicht stimme. Ein Kinnhaken oder ein Tritt in den Bauch war ja noch irgendwie erklärlich, dafür gab es Worte. Aber die ganzen anderen Sachen? Dafür fehlten ihm die Worte.
    Ein weiteres Jahr verging. Theo verbrachte immer mehr Zeit im Keller seines Freundes, wo sie erst Whisky tranken, dann Kleber schnüffelten, dann Gras rauchten.
    Margot dagegen lief in Sydney in ihrer Wohnung auf und ab und wusste nicht, was sie tun sollte. Es kam ihr vor, als sei es gestern gewesen, dass Theo noch ein Baby war und seine Bedürfnisse sich auf Essen und Schlafen beschränkten. Doch jetzt, nach so kurzer Zeit, bildeten Theos Bedürfnisse einen Knoten, den sie weder auflösen noch fester binden konnte.
    Kit ging auf sie zu, als sie auf dem Balkon saß und zum ersten Mal seit langer Zeit einen Gin Tonic trank. Ich nickte Adoni zu, Kits Schutzengel und Urahnen, der meist für sich blieb.
    Ich beobachtete Kit sehr genau. Er war jetzt schon viel länger auf der Bildfläche, als ich erwartet hatte. Ja, es war mir gelungen, ein paar Dinge zu ändern – aber war ich mit dem, was ich geändert hatte, nun auch zufrieden? Nicht ganz. In meiner Version waren Kit und ich ein paar Monate ein Paar gewesen, hatten dann herausgefunden, dass wir besser nur geschäftlich zusammenarbeiten sollten, und lebten fortan jeder sein Leben. Die Version hätte eine Wiedervereinigung von

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