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Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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den 3 bekannten Ehepaaren gut mit mir verbunden. – Der kranke Offizier im Stück. Der kranke Leib in der gespannten, zur Gesundheit und Entschlossenheit verpflichtenden Uniform.
    Vormittag in reiner Laune eine 1/2 Stunde bei Max.

      Im Nebenzimmer unterhält sich meine Mutter mit dem Ehepaar Lebenhart. Sie sprechen über Ungeziefer und Hühneraugen. (Hr. Lebenhart hat 6 Hühneraugen an jedem Finger.) Man sieht leicht ein, daß durch solche Gespräche kein eigentlicher Fortschritt eintritt. Es sind Mitteilungen, die von beiden wieder vergessen werden und die schon jetzt ohne Verantwortungsgefühl in Selbstvergessenheit vor sich gehn. Eben deshalb aber weil solche Gespräche ohne Entrückung nicht denkbar sind, zeigen sie leere Räume, die wenn man dabei bleiben will, nur mit Nachdenken oder besser Träumen ausgefüllt werden können.
    25. III 12 Der den Teppich kehrende Besen im Nebenzimmer hört sich wie eine ruckweise bewegte Schleppe an
    26. III 12 Nur nicht überschätzen, was ich geschrieben habe, dadurch mache ich mir das zu Schreibende unerreichbar.

    27 III (1912) Montag faßte ich auf der Gasse einen Jungen der mit andern ein wehrlos vor ihnen gehendes Dienstmädchen mit einem großen Ball bewarf, gerade als dem Mädchen der Ball gegen den Hintern flog, beim Hals, würgte ihn in großer Wut, stieß ihn bei Seite und schimpfte. Gieng dann weiter und sah das Mädchen gar nicht an. Man vergißt ganz an seine irdische Existenz, weil man so ganz von Wut erfüllt ist und glauben darf, daß man bei Gelegenheit ebenso mit noch schöneren Gefühlen vollständig sich erfüllen wird
      28. III (1912) Aus dem Vortrag der Fr. Fanta “Berliner Eindrücke”: Grillparzer wollte einmal nicht in eine Gesellschaft gehn, weil er wußte, daß auch Hebbel, mit dem er befreundet war, dort sein würde. “Er wird mich wieder über meine Meinung über Gott ausfragen und wenn ich nichts zu sagen wissen werde, wird er grob werden.” – Mein stockiges Benehmen.

    29 III 12
      Die Freude am Badezimmer. – Allmähliches Erkennen. Die Nachmittage die ich mit den Haaren verbrachte.

      1 IV 12 Zum erstenmal seit einer Woche ein fast vollständiges Mißlingen im Schreiben. Warum? Ich habe auch vorige Woche verschiedene Stimmungen durchgemacht und das Schreiben vor ihrem Einfluß bewahrt; aber ich fürchte mich darüber zu schreiben.

      3 IV (1912) – So ist ein Tag vorüber – Vormittag Bureau, nachmittag Fabrik, jetzt abends Geschrei in der Wohnung rechts und links, später die Schwester von Hamlet abholen – und ich habe mit keinem Augenblick etwas anzufangen verstanden
    8 (6. ) IV 12 Charsamstag.

      Vollständiges Erkennen seiner selbst. Den Umfang seiner Fähigkeiten umfassen können, wie einen kleinen Ball. Den größten Niedergang als etwas Bekanntes hinnehmen und so darin noch elastisch bleiben.
      Verlangen nach einem tiefernSchlaf, der mehr auflöst. Metaphysisches Bedürfnis ist nur Todesbedürfnis
    Wie ich heute vor Haas, weil er Maxens und meinen Reisebericht lobte, geziert gesprochen habe, um mich des Lobes, das auf den Bericht nicht zutrifft, wenigstens dadurch würdig zu machen oder um die erschwindelte oder erlogene Wirkung des Reiseberichtes im Schwindel fortzusetzen oder in der liebenswürdigen Lüge des Haas, die ich ihm zu erleichtern suchte

Heft 6

      6 Mai 1912 11 Uhr zum erstenmal seit einiger Zeit vollständiges Mißlingen beim Schreiben. Das Gefühl eines geprüften Mannes.
    Traum vor kurzem: Ich fuhr mit meinem Vater durch Berlin in der Elektrischen. Das Großstädtische war vorgestellt von unzähligen regelmäßig aufrechtstehenden zweifarbig gestrichenen, am Ende stumpf abgeglätteten Schlagbäumen. Sonst war alles fast leer, aber das Gedränge dieser Schlagbäume war groß, Wir kamen vor ein Tor, stiegen ohne es zu fühlen aus, traten durch das Tor ein. Hinter dem Tor stieg eine sehr steile Wand aufwärts, die mein Vater fast tanzend erstieg, die Beine flogen ihm dabei so leicht wurde es ihm. Es lag sicher auch einige Rücksichtslosigkeit darin, daß er mir gar nicht half, denn ich kam nur mit der äußersten Mühe, auf allen Vieren, häufig wieder zurückrutschend hinauf, als sei die Wand unter mir steiler geworden. Peinlich war dabei auch, daß sie mit Menschendreck bedeckt war, so daß mir Flocken davon vor allem auf der Brust hängen blieben. Ich sah sie mit geneigtem Gesicht an und fuhr mit der Hand darüber hin. Als ich endlich oben war, flog mir gleich mein Vater, der schon

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