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Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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erst beim Durchbrechen der Dachziegel verloren hat.

    21. VIII (Juli) 13 Besondere Methode des Denkens. Gefühlsmäßig durchdrungen. Alles fühlt sich als Gedanke selbst im Unbestimmtesten. (Dostojewski)
      Dieser Flaschenzug im Innern. Ein Häkchen rückt vorwärts, irgendwo im Verborgenen, man weiß es kaum im ersten Augenblick, und schon ist der ganze Apparat in Bewegung. Einer unfaßbaren Macht unterworfen, so wie die Uhr der Zeit unterworfen scheint, knackt es hier und dort und alle Ketten rasseln eine nach der andern ihr vorgeschriebenes Stück herab.
      Zusammenstellung alles dessen, was für und gegen meine Heirat spricht: 1) Unfähigkeit allein das Leben zu ertragen, nicht etwa Unfähigkeit zu leben, ganz im Gegenteil, es ist sogar unwahrscheinlich, daß ich es verstehe, mit jemandem zu leben, aber unfähig bin ich den Ansturm meines eigenen Lebens, die Anforderungen meiner eigenen Person, den Angriff der Zeit und des Alters, den vagen Andrang der Schreiblust, die Schlaflosigkeit, die Nähe des Irreseins – alles dies allein zu ertragen bin ich unfähig. Vielleicht, füge ich natürlich hinzu. Die Verbindung mit F. wird meiner Existenz mehr Widerstandskraft geben.

      2. Alles gibt mir gleich zu denken. Jeder Witz im Witzblatt, die Erinnerung an Flaubert und Grillparzer, der Anblick der Nachthemden auf den für die Nacht vorbereiteten Betten meiner Eltern, Maxens Ehe. Gestern sagte meine Schwester: “Alle Verheirateten (unserer Bekanntschaft) sind glücklich, ich begreife es nicht” auch dieser Ausspruch gab mir zu denken, ich bekam wieder Angst.

    3 Ich muß viel allein sein. Was ich geleistet habe, ist nur ein Erfolg des Alleinseins.
      4 Alles was sich nicht auf Litteratur bezieht, hasse ich, es langweilt mich Gespräche zu führen (selbst wenn sie sich auf Litteratur beziehn) es langweilt mich Besuche zu machen, Leiden und Freuden meiner Verwandten langweilen mich in die Seele hinein. Gespräche nehmen allem was ich denke die Wichtigkeit, den Ernst, die Wahrheit.
      5 Die Angst vor der Verbindung, dem Hinüberfließen. Dann bin ich nie mehr allein.

      6 Ich bin vor meinen Schwestern, besonders früher war es so, oft ein ganz anderer Mensch gewesen, als vor andern Leuten. Furchtlos, bloßgestellt, mächtig, überraschend, ergriffen wie sonst nur beim Schreiben. Wenn ich es durch Vermittlung meiner Frau vor allen sein könnte! Wäre es dann aber nicht dem Schreiben entzogen? Nur das nicht, nur das nicht!
    7. Allein könnte ich vielleicht einmal meinen Posten wirklich aufgeben. Verheiratet wird es nie möglich sein.
      In unserer Klasse, der fünften Gymnasialklasse des Amaliengymnasiums, war ein Junge namens Friedrich Guß, den wir alle sehr haßten. Wenn wir früh in die Klasse kamen und ihn auf seinem Platz beim Ofen sitzen sahen, konnten wir kaum verstehen, wie er sich hatte aufraffen können, wieder in die Schule zu kommen. Aber ich erzähle nicht richtig. Wir haßten nicht nur ihn, wir haßten alle. Wir waren eine schreckliche Vereinigung. Als einmal der Landesschulinspektor einer Unterrichtsstunde beiwohnte – es war Geographiestunde und der Professor beschrieb die Augen der Tafel oder dem Fenster zugekehrt wie alle unsere Professoren, die Halbinsel Morea –
      Es war am Tage des Schulbeginnes, es gieng schon gegen Abend. Die Professoren des Obergymnasiums saßen noch im Konferenzzimmer, studierten die Schülerlisten, legten neue Klassenbücher an, erzählten von ihrer Urlaubreise.
    Ich elender Mensch!
      Nur das Pferd ordentlich peitschen! Ihm die Sporen langsam einbohren, dann mit einem Ruck sie herausziehn jetzt aber mit aller Kraft sie ins Fleisch hineinfahren lassen.

    Was für Not!
      Waren wir verrückt? Wir liefen in der Nacht durch den Park und schwangen Zweige.
    Ich fuhr mit meinem Boot in eine kleine natürliche Bucht
    ein.

      Ich pflegte während meiner Gymnasialzeit hie und da einen gewissen Josef Mack, einen Freund meines verstorbenen Vaters zu besuchen. Als ich nach Absolvierung des Gymnasiums –
      Hugo Seiffert pflegte während seiner Gymnasialzeit einem gewissen Josef Kiemann einem alten Junggesellen, der mit Hugos verstorbenem Vater befreundet gewesen war, hie und da einen Besuch zu machen. Diese Besuche hörten unvermittelt auf, als Hugo unerwartet einen sofort anzutretenden Posten im Ausland angeboten erhielt und für einige Jahre seine Heimatsstadt verließ. Als er dann wieder zurückkehrte, beabsichtigte er zwar den alten Mann zu besuchen, es

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