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Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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fand sich aber keine Gelegenheit, vielleicht hätte ein solcher Besuch auch seinen geänderten Anschauungen nicht entsprochen, und trotzdem er öfters durch die Gasse gieng in welcher Kiemann wohnte ja trotzdem er ihn mehrmals im Fenster lehnen sah und wahrscheinlich auch bemerkt wurde unterließ er den Besuch.
      Nichts, nichts, nichts.,Schwäche, Selbstvernichtung, durch den Boden gedrungene Spitze einer Höllenflamme.
    23 VIII (Juli) 13 Mit Felix in Rostock. Die geplatzte Sexualität der Frauen. Ihre natürliche Unreinheit. Das für mich sinnlose Spiel mit dem kleinen Lenchen. Der Anblick der einen dicken Frau, die zusammengekrümmt in einen Korbstuhl, den einen Fuß auffällig zurückgeschoben, irgendetwas nähte und mit einer alten Frau, wahrscheinlich einer alten Jungfer, deren Gebiß auf einer Seite des Mundes immer in besonderer Größe erschien, sich unterhielt. Die Vollblütigkeit und Klugheit der schwangern Frau. Ihr Hintere mit geraden abgeteilten Flächen, förmlich facettiert. Das Leben auf der kleinen Terasse. Wie ich ganz kalt die Kleine auf den Schoß nahm, gar nicht unglücklich über die Kälte. Der Aufstieg im “stillen Tal”

      Wie kindisch ein Spengler, durch die offene Tür des Geschäftes zu sehn, bei seiner Arbeit sitzt und immerfort mit dem Hammer klopft

      Roskoff, Geschichte des Teufels: Bei den jetzigen Karaiben gilt “der, welcher in der Nacht arbeitet” als der Schöpfer der Welt.
      13. Aug. (1913) Vielleicht ist nun alles zuende und mein gestriger Brief der letzte. Es wäre unbedingt das Richtige. Was ich leiden werde, was sie leiden wird – es ist nicht zu vergleichen mit dem gemeinsamen Leid, das entstehen würde. Ich werde mich langsam sammeln, sie wird heiraten, es ist der einzige Ausweg unter Lebendigen. Wir zwei können nicht für uns zwei einen Weg in einen Felsen schlagen, es ist genug, daß wir ein Jahr lang daran geweint und uns abgequält haben. Sie wird es aus meinen letzten Briefen einsehn. Wenn nicht, dann werde ich sie gewiß heiraten, denn ich bin zu schwach, ihrer Meinung über unser gemeinsames Glück zu widerstehn und außerstande, etwas was sie für möglich hält, nicht zu verwirklichen, soweit es an mir liegt.
    Gestern abend auf dem Belvedere unter den Sternen.

    14. (August 1913) Es ist das Gegenteil eingetroffen. Es kamen drei Briefe. Dem letzten konnte ich nicht widerstehn. Ich habe sie lieb, soweit ich dessen fähig bin aber diese Liebe liegt zum Ersticken begraben unter Angst und Selbstvorwürfen.
    Folgerungen aus dem “Urteil” für meinen Fall. Ich verdanke die Geschichte auf Umwegen ihr. Georg geht aber an der Braut zugrunde.
      Der Coitus als Bestrafung des Glückes des Beisammenseins. Möglichst asketisch leben, asketischer als ein Junggeselle, das ist die einzige Möglichkeit für mich, die Ehe zu ertragen. Aber sie?
      Und trotz allem, wären wir, ich und Felice, vollständig gleichberechtigt, hätten wir gleiche Aussichten, und Möglichkeiten, ich würde nicht heiraten. Aber diese Sackgasse, in die ich ihr Schicksal langsam geschoben habe, macht es mir zur unausweichlichen, wenn auch durchaus nicht etwa unübersehbaren Pflicht. Irgend ein geheimes Gesetz der menschlichen Beziehungen wirkt hier.
      Der Brief an die Eltern machte mir große Schwierigkeiten besonders deshalb, weil ein unter besonders ungünstigen Umständen abgefaßtes Concept sich lange nicht abändern lassen wollte. Heute ist es mir doch beiläufig gelungen, wenigstens steht keine Unwahrheit darin und es bleibt doch auch für Eltern lesbar und begreiflich.
      Wie kalt ich heute abend – Oskar und die Frau waren nicht zuhause – mit dem vermeintlich von mir geliebten Leo spielte. Er war mir widerlich fremd und dumm.

    15 (August 1913) Qualen im Bett gegen Morgen. Einzige Lösung im Sprung aus dem Fenster gesehn. Die Mutter kam zum Bett und fragte, ob ich den Brief abgeschickt habe und ob es mein alter Text gewesen sei. Ich sagte, es wäre der alte Text, nur noch verschärfter. Sie sagte, sie verstehe mich nicht. Ich antwortete, sie verstehe mich allerdings nicht und nicht etwa nur in dieser Sache. Später fragte sie mich, ob ich dem Onkel Alfred schreiben werde, er verdiene es, daß ich ihm schreibe. Ich fragte, wodurch er es verdiene. Er hat telegraphiert, er hat geschrieben, er meint es so gut mit Dir. “Das sind nur Äußerlichkeiten” sagte ich “er ist mir ganz fremd, er mißversteht mich vollständig, er weiß nicht, was ich will und brauche, ich

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