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Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Einladung der Frau Thein und Überlegung wie ich mich ihr vorstellen werde.
      Zufälligerweise gieng ich den entgegengesetzten Weg wie sonst nämlich Kettensteg Hradschin Karlsbrücke. Sonst falle ich auf diesem Weg förmlich hin, heute habe ich mich von der entgegengesetzten Seite kommend ein wenig aufgehoben.
      21 (11.) II 14 “Goethe” Dilthey, flüchtig durchgelesen, wilder Eindruck, nimmt mit fort, warum könnte man sich nicht anzünden und im Feuer zugrundegehn. Oder folgen, auch wenn man kein Gebot hört? In der Mitte seines leeren Zimmers auf einem Sessel sitzen und das Parkett ansehn. “Vorwärts” rufen in einem Hohlweg im Gebirge und aus allen Seitenwegen zwischen den Felsen einzelne Menschen rufen hören und hervorkommen sehn.
    13 II 14

      Gestern bei Frau Thein. Ruhig und energisch, eine fehlerlos sich durchsetzende, sich einbohrende, mit Blicken Händen und Füßen sich einarbeitende Energie. Offenheit, offener Blick. Ich habe immer in Erinnerung ihre häßlichen ungeheuren feierlichen Renaissancestraußfederhüte aus früherer Zeit, sie ist mir solange ich sie nicht persönlich kannte widerlich gewesen. Wie der Muff, wenn sie zu einem Ziel der Erzählung eilt, an den Leib gedrückt wird und doch zuckt. Ihre Kinder Nora und Mirjam.
      Erinnert sehr an W. im Blick, in der Selbstvergessenheit der Erzählung, in der gänzlichen Beteiligung, in dem kleinen lebendigen Körper, selbst in der harten dumpfen Stimme, in der Rede von schönen Kleidern und Hüten, während an ihr nichts derartiges zu sehen ist.
    Blick aus dem Fenster über den Fluß. An vielen Stellen des Gesprächs, trotzdem sie keine Mattigkeit aufkommen läßt, mein vollständiges Versagen, sinnloser Blick, Nichtverstehn dessen was sie sagt, Abrollen einfältigster Bemerkungen, während ich sehen muß, wie sie aufhorcht, sinnloses Betasten des kleinen Kindes
      Träume: In Berlin, durch die Straßen, zu ihrem Haus, das ruhige glückliche Bewußtsein, ich bin zwar noch nicht bei ihrem Haus, habe aber die leichte Möglichkeit hinzukommen, werde bestimmt hinkommen. Ich sehe die Straßenzüge, an einem weißen Haus eine Aufschrift etwa “Die Prachtsäle des Nordens” (gestern in der Zeitung gelesen) im Traum hinzugefügt “Berlin W”. Frage einen leutseligen rotnasigen alten Schutzmann, der in einer Art Dieneruniform diesmal steckt. Bekomme überausführliche Auskunft, sogar ein Geländer einer kleinen Rasenanlage in der Ferne wird mir gezeigt, an das ich der Sicherheit halber mich anhalten soll, wenn ich vorüberkomme. Dann Ratschläge betreffend die Elektrische, die Untergrundbahn u. s. w. Ich kann nicht mehr folgen und frage erschrocken, wohl wissend, daß ich die Entfernung unterschätze: “Das ist wohl 1/2 Stunde weit?” Er aber, der alte Mann, antwortet: “Ich bin dort in 6 Minuten. ” Die Freude! Irgend ein Mann, ein Schatten, ein Kamerad begleitet mich immer, ich weiß nicht, wer es ist. Habe förmlich keine Zeit mich umzudrehn, mich seitwärts zu wenden. – Wohne in Berlin in irgend einer Pension, in der scheinbar lauter junge polnische Juden wohnen; ganz kleine Zimmer. Ich verschütte eine Wasserflasche. Einer schreibt unaufhörlich auf einer kleinen Schreibmaschine, wendet kaum den Kopf, wenn man um etwas bittet. Keine Karte von Berlin aufzutreiben. Immer sehe ich in der Hand eines ein Buch, das einem Plan ähnlich ist. Immer zeigt sich, daß es etwas ganz anderes enthält, ein Verzeichnis der Berliner Schulen, eine Steuerstatistik oder etwas derartiges. Ich will es nicht glauben, aber man weist es mir lächelnd ganz zweifellos nach.

    14. II 14
    Wenn ich mich töten sollte, hat ganz gewiß niemand schuld, selbst wenn z. B. die offenbare nächste Veranlassung F.‘s Verhalten sein sollte. Ich habe mir selbst schon einmal im Halbschlaf die Szene vorgestellt, die es ergeben würde, wenn ich in Voraussicht des Endes den Abschiedsbrief in der Tasche in ihre Wohnung käme, als Freier abgewiesen würde, den Brief auf den Tisch legte, zum Balkon gienge, von allen, die hinzueilen gehalten mich losreißen und die Balkonbrüstung, während eine Hand nach der andern ablassen muß, überspringen würde. In dem Brief aber stünde, daß ich F.‘s wegen zwar hinunterspringe, daß sich aber auch bei Annahme meines Antrages nichts wesentliches für mich geändert hätte. Ich gehöre hinunter, ich finde keinen andern Ausgleich, F. ist zufällig die, an der sich meine Bestimmung erweist, ich bin nicht fähig, ohne sie zu leben

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