Tagebücher: 1909-1923
Wanzen, nur einmal hat ein Gast auf dem Korridor eine gefunden. Bei den Eltern. Vereinzelte Tränen der Mutter. Ich sage die Lektion auf. Der Vater erfaßt es richtig von allen Seiten. Kam eigens meinetwegen von Malmö, Nachtreise, sitzt in Hemdärmeln. Sie geben mir recht, es läßt sich nichts oder nicht viel gegen mich sagen. Teuflisch in aller Unschuld. Scheinbare Schuld des Frl. Bloch. Abend allein auf einem Sessel unter den Linden. Leibschmerzen. Trauriger Kontrolleur. Stellt sich vor die Leute, dreht die Zettel in der Hand und läßt sich nur durch Bezahlung fortschaffen. Verwaltet sein Amt trotz aller scheinbaren Schwerfälligkeit sehr richtig, man kann bei solcher Dauerarbeit nicht hin- und herfliegen, auch muß er sich die Leute zu merken versuchen. Beim Anblick solcher Leute immer diese Überlegungen: Wie kam er zu dem Amt, wie wird er gezahlt, wo wird er morgen sein, was erwartet ihn im Alter, wo wohnt er, in welchem Winkel streckt er vor dem Schlaf die Arme, könnte ich es auch leisten, wie wäre mir zumute. Alles unter Leibschmerzen. Schreckliche, schwer durchlittene Nacht. Und doch fast keine Erinnerung an sie. Im Restaurant Belvedere, an der Strahlauer Brücke mit Erna. Sie hofft noch auf einen guten Ausgang oder tut so. Wein getrunken. Tränen in ihren Augen. Schiffe gehn nach Grünau, nach Schwertau ab. Viele Menschen. Musik. Erna tröstet mich, ohne daß ich traurig bin, d. h. ich bin bloß über mich traurig und darin trostlos. Schenkt mir “Gotische Zimmer”. Erzählt viel (ich weiß nichts). Besonders wie sie sich im Geschäft durchsetzt gegenüber einer alten giftigen weißhaarigen Kollegin. Sie wollte am liebsten von Berlin weg, selbst ein Unternehmen haben. Sie liebt die Ruhe. Als sie in Sebnitz war, hat sie öfters den Sonntag durchgeschlafen. Kann auch lustig sein. – Auf dem andern Ufer Marinehaus. Dort hatte schon der Bruder eine Wohnung gemietet.
Warum haben mir die Eltern und die Tante so nachgewinkt? Warum saß F. im Hotel und rührte sich nicht, trotzdem alles schon klar war? Warum telegraphierte sie mir: “Erwarte Dich, muß aber Dienstag geschäftlich verreisen. ” Wurden von mir Leistungen erwartet? Nichts wäre natürlicher gewesen. Von nichts (unterbrochen von Dr. Weiß, der ans Fenster tritt)
27 VII (1914) Nächsten Tag zu den Eltern nicht mehr gegangen. Nur Radler mit Abschiedsbrief geschickt. Brief unehrlich und kokett “Behaltet mich nicht in schlechtem Andenken”. Ansprache vom Richtplatz. Zweimal in der Schwimmschule am Strahlauer Ufer gewesen. Viele Juden. Bläuliche Gesichter, starke Körper, wildes Laufen. Abend im Garten des “Askanischen Hofes”. Gegessen Reis à la Trautmannsdorf und einen Pfirsich. Ein Weintrinker beobachtet mich wie ich den kleinen unreifen Pfirsich mit dem Messer zu zerschneiden versuche. Es gelingt nicht. Aus Scham lasse ich unter den Blicken des Alten vom Pfirsich überhaupt ab und durchblättere 10mal die “fliegenden Blätter”. Ich warte, ob er sich nicht doch abwenden wird. Endlich nehme ich alle Kraft zusammen und beiße ihm zu Trotz in den ganz saftlosen teueren Pfirsich. In der Laube neben mir ein großer Herr, der sich um nichts kümmert, als um den Braten, den er sorgfältig aussucht und um den Wein im Eiskübel. Endlich zündet er sich eine große Zigarre an, ich beobachte ihn über meine “Fliegenden Blätter” hinweg. Abfahrt vom Lehrter Bahnhof. Der Schwede in Hemdärmeln. Das starke Mädchen mit vielen silbernen Armreifen. Umsteigen in Büchen in der Nacht. Lübeck. Schreckliches Hotel Schützenhaus. Überfüllte Wände, schmutzige Wäsche unter dem Leintuch, verlassenes Haus, ein Pikkolo ist die einzige Bedienung. Aus Furcht vor dem Zimmer gehe ich noch in den Garten und sitze dort bei einer Flasche Harzer Sauerbrunn. Mir gegenüber beim Bier ein Buckliger und ein magerer blutleerer junger Mensch, der raucht. Doch geschlafen, aber bald von der Sonne geweckt, die durch das große Fenster geradeaus mir ins Gesicht scheint. Fenster führt auf den Bahnkörper, unaufhörlich Lärm der Züge. Erlösung und Glück nach der Übersiedlung ins Hotel Kaiserhof an der Trave. Fahrt nach Travemünde. Bad – Familienbad. Anblick des Strandes. Nachmittag im Sand. Durch die nackten Füße als unanständig aufgefallen. Neben mir der scheinbare Amerikaner. Statt zu mittag zu essen, an allen Pensionen und Restaurationen vorübergegangen. In der Allee vor dem Kurhaus gesessen und der Tafelmusik zugehört. In Lübeck Spaziergang auf
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