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Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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“Kinder! ” rief sie erstaunt, mich sah sie noch nicht, ich blieb vor der Tür im Schatten. Die Kinder stellten den Hund auf den Tisch, sie liebten die Frau wohl sehr, immerfort suchten sie ihr in die Augen zu sehn, ein Mädchen ergriff ihre Hand und streichelte sie, sie ließ es geschehn und merkte es kaum. Der Hund stand vor ihr auf dem Briefbogen auf dem sie eben geschrieben hatte, und streckte ihr seine zitternde kleine Zunge entgegen, die man knapp vor dem Lampenschirm deutlich sah. Die Kinder baten nun hierbleiben zu dürfen und suchten der Frau eine Zustimmung abzuschmeicheln. Die Frau war unentschlossen, erhob sich, streckte die Arme aus, zeigte auf das eine Bett und den harten Boden. Die Kinder wollten das nicht gelten lassen, und legten sich zur Probe auf den Boden nieder, wo sie gerade standen; ein Weilchen lang war alles still. Die Frau blickte lächelnd die Hände im Schooß gefaltet auf die Kinder nieder. Hie und da hob ein Kind den Kopf aber da es auch noch die andern liegen sah, legte es sich wieder zurück
      Ich kam an einem abend etwas später als sonst aus dem Bureau nachhause – ein Bekannter hatte mich unten vor dem Haustor lange aufgehalten – und öffnete noch in Gedanken an das Gespräch, das sich hauptsächlich um Standesfragen gedreht hatte, mein Zimmer, hieng den Überrock an den Haken und wollte zum Waschtisch gehn, da hörte ich fremde kurze Atemzüge. Ich sah auf und bemerkte auf der Höhe des tief in einen Winkel gestellten Ofens im Halbdunkel etwas Lebendiges. Gelblich glänzende Augen blickten mich an, unter dem unkenntlichen Gesicht lagen zu beiden Seiten große runde Frauenbrüste auf dem Gesimse des Ofens auf, das ganze Wesen schien nur aus aufgehäuftem weichen weißen Fleisch zu bestehn, ein dicker langer gelblicher Schwanz hieng am Ofen herab, sein Ende strich fortwährend zwischen den Ritzen der Kacheln hin und her.
    Das erste was ich tat, war, daß ich mit großen Schritten und tief gesenktem Kopf – Narrheit! Narrheit! wiederholte ich leise wie ein Gebet – zu der Türe gieng, die in die Wohnung meiner Vermieterin führte. Erst später bemerkte ich, daß ich ohne zu klopfen eingetreten war. Fräulein Hefter
      Es war um Mitternacht. Fünf Männer hielten mich, über sie hinweg hob ein sechster seine Hand um mich zu fassen. “Los” rief ich und drehte mich im Kreis, daß alle abfielen. Ich fühlte irgendwelche Gesetze herrschen, hatte bei der letzten Anstrengung gewußt, daß sie Erfolg haben werde, sah wie alle Männer jetzt mit erhobenen Armen zurückflogen, erkannte, daß sie im nächsten Augenblick alle gemeinsam gegen mich stürzen müßten drehte mich zum Haustor um – ich stand knapp davor – öffnete das förmlich freiwillig und in ungewöhnlicher Eile aufspringende Schloß und entwich die dunkle Treppe hinauf. Oben im letzten Stock stand in der Wohnungstür meine alte Mutter mit einer Kerze in der Hand. “Gib acht, gib acht” rief ich schon vom vorletzten Stockwerk hinauf “sie verfolgen mich.” “Wer denn? Wer denn?” fragte meine Mutter. “Wer könnte Dich denn verfolgen, mein Junge. ” “Sechs Männer” sagte ich atemlos. “Kennst Du sie” fragte die Mutter. “Nein, fremde Männer” sagte ich. “Wie sehn sie denn aus?” “Ich habe sie ja kaum gesehn. Einer hat einen schwarzen Vollbart, einer einen großen Ring am Finger, einer hat einen roten Gürtel, einer hat die Hosen an den Knien zerrissen, einer hat nur ein Auge offen und der letzte zeigt die Zähne.” “Jetzt denke nicht mehr daran”, sagte die Mutter, “geh in Dein Zimmer, lege Dich schlafen, ich habe aufgebettet. ” Die Mutter! diese alte Frau! schon unangreifbar vom Lebendigen, mit einem listigen Zug um den bewußtlos 80jährige Narrheiten wiederholenden Mund. “Jetzt schlafen?” rief ich “

    23. VII 14. Der Gerichtshof im Hotel. Die Fahrt in der Droschke. Das Gesicht F.‘s. Sie fährt mit den Händen in die Haare, wischt die Nase mit der Hand, gähnt. Rafft sich plötzlich auf und sagt gut Durchdachtes, lange Bewahrtes, Feindseliges. Der Rückweg mit Frl. Bl. Das Zimmer im Hotel, die von der gegenüberliegenden Mauer reflektierte Hitze. Auch von den sich wölbenden Seitenmauern, die das tiefliegende Zimmerfenster einschließen, kommt Hitze. Überdies Nachmittagssonne. Der bewegliche Diener, fast ostjüdisch. Lärm im Hof, wie in einer Maschinenfabrik. Schlechte Gerüche. Die Wanze. Schwerer Entschluß sie zu zerdrücken. Stubenmädchen staunt: es sind nirgends

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