Tagebücher: 1909-1923
fortwährenden Versuche durch viel Schlaf am Nachmittag die Fortsetzung der Arbeit bis tief in die Nacht zu ermöglichen, waren sinnlos, denn ich konnte doch schon nach den ersten 14 Tagen sehn, daß es mir meine Nerven nicht erlauben nach 1 Uhr schlafen zu gehn, denn dann schlafe ich überhaupt nicht mehr ein, der nächste Tag ist unerträglich und ich zerstöre mich. Ich bin also nachmittag zulange gelegen, habe in der Nacht aber selten über 1 Uhr gearbeitet, immer aber frühestens gegen 11 Uhr angefangen. Das war falsch. Ich muß um 8 oder 9 Uhr anfangen, die Nacht ist gewiß die beste Zeit (Urlaub!) aber sie ist mir unzugänglich.
Samstag werde ich F. sehn. Wenn sie mich liebt, verdiene ich es nicht. Ich glaube heute einzusehn, wie eng meine Grenzen sind, in allem und infolgedessen auch im Schreiben. Wenn man seine Grenzen sehr intensiv erkennt, muß man zersprengt werden. Es ist wohl Ottlas Brief, der mir das zu Bewußtsein gebracht hat. Ich war sehr selbstzufrieden in der letzten Zeit und hatte viele Einwände zu meiner Verteidigung und Selbstbehauptung gegen F. Schade daß ich keine Zeit hatte sie aufzuschreiben, heute könnte ich es nicht.
Strindberg “Schwarze Fahnen”. Über Einfluß aus der Ferne: Du hast sicher gefühlt, wie andere Dein Benehmen mißbilligt haben, ohne daß sie diese Mißbilligung äußerten. Du hast ein stilles Behagen an der Einsamkeit empfunden ohne Dir klar gemacht zu haben warum; jemand in der Ferne hat gut von Dir gedacht, gut über Dich gesprochen
18. (Januar 1915) In der Fabrik bis 1/2 7 in gleicher Weise nutzlos gearbeitet, gelesen, diktiert, angehört, geschrieben. Gleiche sinnlose Befriedigung danach. Kopfschmerzen, schlecht geschlafen. Unfähig zu längerer koncentrierter Arbeit. Auch zu wenig im Freien gewesen. Trotzdem eine neue Geschichte angefangen, die alten fürchtete ich mich zu verderben. Nun stehen vor mir 4 oder 5 Geschichten aufgerichtet wie die Pferde vor dem Cirkusdirektor Schumann bei Beginn der Produktion.
19. (Januar 1915) Ich werde solange ich in die Fabrik gehen muß nichts schreiben können. Ich glaube es ist eine besondere Unfähigkeit zu arbeiten die ich jetzt fühle, ähnlich jener, als ich in der Generali angestellt war. Die unmittelbare Nähe des Erwerbslebens benimmt mir trotzdem ich innerlich so unbeteiligt bin, als es nur möglich ist, jeden Überblick so als wäre ich in einem Hohlweg, in dem ich überdies noch den Kopf senke. In der Zeitung steht heute z. B. eine Äußerung von zuständiger schwedischer Stelle, nach welcher trotz der Drohungen des Dreiverbandes die Neutralität unbedingt gewahrt werden soll. Zum Schluß heißt es: Die Dreiverbändler werden in Stockholm auf Granit beißen. Heute nehme ich es fast vollständig so hin, wie es gemeint ist. Vor 3 Tagen hätte ich bis in den Grund gefühlt, daß hier ein Stockholmer Gespenst spricht, daß “Drohungen des Dreiverbandes” “Neutralität” “zuständige schwedische Stelle” nur in bestimmte Form zusammengeballte Gebilde aus Luft sind, die man nur mit dem Auge genießen, niemals aber mit dem Finger ertasten kann.
Ich hatte mit zwei Freunden einen Ausflug für den Sonntag vereinbart, verschlief aber gänzlich unerwarteter Weise die Stunde der Zusammenkunft. Meine Freunde, die meine sonstige Pünktlichkeit kannten, staunten darüber, giengen zu dem Haus in dem ich wohnte, standen auch dort noch eine Zeitlang, giengen dann die Treppe hinauf und klopften an meiner Tür. Ich erschrak sehr, sprang aus dem Bett und achtete auf nichts anderes, als darauf mich möglichst rasch bereitzumachen. Als ich dann vollständig angezogen aus der Türe trat, wichen meine Freunde offenbar erschrocken vor mir zurück. “Was hast Du hinter dem Kopf” riefen sie. Ich hatte schon seit dem Erwachen irgendetwas gefühlt, das mich hinderte den Kopf zurückzuneigen und tastete nun mit der Hand nach diesem Hindernis. Gerade riefen die Freunde, die sich schon ein wenig gesammelt hatten “Sei vorsichtig, verletze Dich nicht” als ich hinter meinem Kopf den Griff eines Schwertes erfaßte. Die Freunde kamen näher, untersuchten mich, führten mich ins Zimmer vor den Schrankspiegel und entkleideten meinen Oberkörper. Ein großes altes Ritterschwert mit kreuzartigem Griff steckte in meinem Rücken bis zum Heft, aber in der Weise, daß sich die Klinge unbegreiflich genau zwischen Haut und Fleisch geschoben und keine Verletzung herbeigeführt hatte. Aber auch an der Stelle des Einstoßes am Halse
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