Tagebücher: 1909-1923
Türhütergeschichte größere Aufmerksamkeit und gute Beobachtung. Mir gieng die Bedeutung der Geschichte erst auf, auch sie erfaßte sie richtig, dann allerdings fuhren wir mit groben Bemerkungen in sie hinein, ich machte den Anfang.
Die für andere Menschen gewiß unglaublichen Schwierigkeiten, die ich beim Reden habe, haben darin ihren Grund, daß mein Denken oder besser mein Bewußtseinsinhalt ganz nebelhaft ist, daß ich darin soweit es nur auf mich ankommt, ungestört und manchmal selbstzufrieden ruhe, daß aber ein menschliches Gespräch Zuspitzung, Festigung und dauernden Zusammenhang braucht, Dinge, die es in mir nicht gibt. In Nebelwolken wird niemand mit mir liegen wollen und selbst wenn er das wollte, so kann ich den Nebel nicht aus der Stirn hervortreiben, zwischen zwei Menschen zergeht er und ist nichts.
F. macht den großen Umweg nach Bodenbach, hat die Mühe sich den Paß zu beschaffen, muß mich nach einer durchwachten Nacht erdulden, gar noch eine Vorlesung anhören und alles sinnlos. Ob sie es als solches Leid fühlt, wie ich. Gewiß nicht, selbst gleiche Empfindlichkeit vorausgesetzt. Sie hat doch kein Schuldgefü hl.
Meine Feststellung war richtig und wurde als richtig anerkannt: Jeder liebt den andern, so wie dieser andere ist. Aber so wie er ist, glaubt er mit ihm nicht leben zu können.
Diese Gruppe: Dr. Weiß sucht mich zu überzeugen, daß F. hassenswert ist, F. sucht.mich zu überzeugen, daß W. hassenswert ist. Ich glaube beiden und liebe beide oder strebe danach.
29. (Januar 1915) wieder zu schreiben versucht, fast nutzlos. Letzte zwei Tage bald schlafen gegangen, um 10 Uhr, wie schon seit langer Zeit nicht, freie s Gefühl während des Tages, halbe Zufriedenheit, erhöhte Brauchbarkeit im Bureau, Möglichkeit mit Menschen zu reden. – Jetzt starke Knieschmerzen.
30. (Januar 1915) Die alte Unfähigkeit. Kaum 10 Tage lang das Schreiben unterbrochen und schon ausgeworfen. Wieder
stehn die großen Anstrengungen bevor. Es ist notwendig förmlich unterzutauchen und schneller zu sinken als das vor einem versinkende.
7. (Februar 1915) Vollständige Stockung. Endlose Quälereien.
Bei einem gewissen Stande der Selbsterkenntnis und bei sonstigen für die Beobachtung günstigen Begleitumständen wird es regelmäßig geschehn müssen, daß man sich abscheulich findet. Jeder Maßstab des Guten – mögen die Meinungen darüber noch so verschieden sein – wird zu groß erscheinen. Man wird einsehn, daß man nichts anderes ist als ein Rattenloch elender Hintergedanken. Nicht die geringste Handlung wird von diesen Hintergedanken frei sein. Diese Hintergedanken werden so schmutzig sein, daß man sie im Zustand der Selbstbeobachtung zunächst nicht einmal wird durchdenken wollen, sondern sich von der Ferne mit ihrem Anblick begnügen wird. Es wird sich bei diesen Hintergedanken nicht etwa bloß um Eigennützigkeit handeln, Eigennützigkeit wird ihnen gegenüber als ein Ideal des Guten und Schönen erscheinen. Der Schmutz, den man finden wird, wird um seiner selbst willen da sein, man wird erkennen, daß man triefend von dieser Belastung auf die Welt gekommen ist und durch sie unkenntlich oder allzu gut erkennbar wieder abgehn wird. Dieser Schmutz wird der unterste Boden sein, den man finden wird, der unterste Boden wird nicht etwa Lava enthalten, sondern Schmutz. Er wird das unterste und das oberste sein und selbst die Zweifel der Selbstbeobachtung werden bald so schwach und selbstgefallig werden, wie das Schaukeln eines Schweines in der Jauche.
9. II 15 Gestern und heute ein wenig geschrieben. Hundegeschichte.
Jetzt den Anfang gelesen. Es ist häßlich und verursacht Kopfschmerzen. Es ist trotz aller Wahrheit böse, pedantisch, mechanisch, auf einer Sandbank ein noch knapp atmender Fisch. Ich schreibe Bouvard und Pecuchet sehr frühzeitig. Wenn sich die beiden Elemente – am ausgeprägtesten im “Heizer” und “Strafkolonie” – nicht vereinigen, bin ich am Ende. Ist aber für diese Vereinigung Aussicht vorhanden?
Endlich ein Zimmer aufgenommen. Im gleichen Haus in der Bilekgasse.
10 II (1915) Erster Abend. Der Nachbar unterhält sich stundenlang mit der Wirtin. Beide sprechen leise, die Wirtin fast unhörbar, desto ärger. Das seit 2 Tagen in Gang gekommene Schreiben unterbrochen, wer weiß, für wie lange Zeit. Reine Verzweiflung. Ist es so in jeder Wohnung? Erwartet mich eine solche lächerliche und unbedingt tötliche Not bei jeder Vermieterin,
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