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Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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war keine Wunde, die Freunde versicherten, daß sich dort völlig blutleer und trocken der für die Klinge notwendige Spalt geöffnet habe. Und als jetzt die Freunde auf Sessel stiegen und langsam millimeterweise das Schwert hervorzogen, kam kein Blut nach und die offene Stelle am Halse schloß sich bis auf einen kaum merklichen Spalt. “Hier hast Du Dein Schwert” sagten die Freunde lachend und reichten es mir. Ich wog es in beiden Händen, es war eine kostbare Waffe, Kreuzfahrer konnten sie wohl benützt haben. Wer duldete es, daß sich alte Ritter in den Träumen herumtrieben, verantwortungslos mit ihren Schwertern fuchtelten, unschuldigen Schläfern sie einbohrten und nur deshalb nicht schwere Wunden beibrachten, weil ihre Waffen zunächst wahrscheinlich an lebenden Körpern abgleiten und weil auch treue Freunde hinter der Tür stehn und hilfsbereit klopfen.
      20 (Januar 1915) Ende des Schreibens. Wann wird es mich wieder aufnehmen? In welchem schlechten Zustand komme ich mit F. zusammen! Die mit Aufgabe des Schreibens sofort eintretende Schwerfälligkeit des Denkens, Unfähigkeit mich für die Zusammenkunft vorzubereiten, während ich vorige Woche wichtige Gedanken dafür kaum abschütteln konnte. Möge ich den einzig hiebei denkbaren Gewinn genießen: bessern Schlaf.

      Schwarze Fahnen. Wie schlecht ich auch lese. Und wie ich mich bösartig und schwächlich beobachte. Eindringen kann ich scheinbar in die Welt nicht, aber ruhig liegen, empfangen, das Empfangene in mir ausbreiten und dann ruhig vortreten.
    24 (Januar 1915) Mit F. in Bodenbach. Ich glaube es ist unmöglich daß wir uns jemals vereinigen, wage es aber weder ihr noch im entscheidenden Augenblick mir zu sagen. So habe ich sie wieder vertröstet, unsinniger Weise, denn jeder Tag macht mich älter und verknöcherter. Es kommen die alten Kopfschmerzen zurück wenn ich es zu fassen versuche, daß sie gleichzeitig leidet und gleichzeitig ruhig und fröhlich ist. Durch viel Schreiben dürfen wir einander nicht wieder quälen, am besten diese Zusammenkunft als etwas Vereinzeltes übergehn; oder glaube ich vielleicht daran, daß ich mich hier frei machen, vom Schreiben leben, ins Ausland oder sonstwohin fahren und dort mit F. heimlich leben werde. Wir haben uns ja auch sonst ganz unverändert gefunden. Jeder sagt es sich im Stillen, daß der andere unerschütterlich und erbarmungslos ist. Ich lasse nichts nach von meiner Forderung nach einem phantastischen nur für meine Arbeit berechnetem Leben, sie will stumpf gegen alle stummen Bitten das Mittelmaß, die behagliche Wohnung, Interesse für die Fabrik, reichliches Essen, Schlaf von 11 Uhr abends an, geheiztes Zimmer, stellt meine Uhr, die seit einem 1/4 Jahr um 1 1/2 Stunden vorausgeht, auf die wirkliche Minute ein. Und sie behält Recht und würde weiterhin Recht behalten, sie hat Recht, wenn sie mich zurechtweist als ich dem Kellner sage: Bringen Sie die Zeitung, bis sie ausgelesen ist und ich kann nichts richtigstellen, als sie von der “persönlichen Note” (es läßt sich nicht anders als knarrend aussprechen) der erwünschten Wohnungseinrichtung spricht. Sie nennt meine zwei ältern Schwestern “flach”, nach der jüngsten fragt sie gar nicht, für meine Arbeit hat sie fast keine Frage und keinen sichtbaren Sinn. Das ist die eine Seite.
    Ich aber bin unfahig und öde wie immer und sollte eigentlich keine Zeit haben um ber etwas anderes nachzudenken, als über die Frage, wieso es kommt, daß jemand auch nur Lust hat, mit dem kleinen Finger nach mir zu tasten. Kurz hintereinander habe ich 3erlei Menschen mit diesem kalten Atem angeblasen. Die Hellerauer, die Familie Riedl in Bodenbach und F. F. sagte: “Wie brav wir hier beisammen sind.” Ich schwieg, als hätte während dieses Ausrufes mein Gehör ausgesetzt. Zwei Stunden waren wir allein im Zimmer. Um mich herum nur Langeweile und Trostlosigkeit. Wir haben mit einander noch keinen einzigen guten Augenblick gehabt, während dessen ich frei geatmet hätte. Das Süße des Verhältnisses zu einer geliebten Frau wie in Zuckmantel und Riva hatte ich F. gegenüber außer in Briefen nie, nur grenzenlose Bewunderung, Unterthänigkeit, Mitleid, Verzweiflung und Selbstverachtung. Ich habe ihr auch vorgelesen, widerlich giengen die Sätze durcheinander, keine Verbindung mit der Zuhörerin, die mit geschlossenen Augen auf dem Kanapee lag und es stumm aufnahm. Eine laue Bitte ein Manuscript mitnehmen und abschreiben zu dürfen. Bei der

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