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Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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an jede frühere Schuld und jeden Zwang vergessen und daß sie sich in dem neuen Element bewegen werden als sei es ihr erstes.
      Ich schlafe nicht ein antwortete er und schüttelte während des Augenaufschlagens den Kopf. Wenn ich einschliefe, wie könnte ich Dich dann bewachen? Und muß ich das nicht Hast Du Dich nicht damals vor der Kirche deshalb an mir festgehalten? Ja es ist schon lange her, wir wissen es, laß nur die Uhr in der Tasche.
      Es ist nämlich schon sehr spät sagte ich. Ich mußte ein wenig lächeln und um es zu verdecken schaute ich angestrengt ins Haus hinein.
    Gefällt es Dir wirklich so? Du möchtest also gerne hinauf, sehr gerne? Also sags doch, ich beiß Dich doch nicht. Schau, wenn Du glaubst, daß es Dir oben besser gehn wird, als hier unten, dann geh einfach hinauf, sofort, ohne an mich zu denken. Daß es meine Ansicht ist, also die Ansicht eines x beliebigen Passanten, daß Du bald wieder herunterkommen wirst, und daß es dann sehr gut sein wird, wenn hier auf irgendeine Weise jemand steht, dessen Gesicht Du gar nicht anschauen wirst, der Dich aber unter den Arm nimmt in einem nahen Lokal mit Wein stärkt und Dich dann in sein Zimmer führt, das so elend es ist, doch ein paar Scheiben zwischen sich und der Nacht hat, auf diese Ansicht kannst Du vorläufig pfeifen. Wahr ist es, das kann ich vor wem Du willst wiederholen, hier unten geht es uns schlecht, ja es geht uns sogar hundsmiserabel, aber mir ist nun nicht zu helfen ob ich hier in der Abflußrinne liege und das Regenwasser staue oder oben mit den gleichen Lippen Champagner trinke mir macht das keinen Unterschied. Übrigens habe ich ja nicht einmal zwischen diesen zwei Dingen die Wahl, mir geschieht ja niemals etwas derartiges das die Leute aufpassen läßt, wie könnte es auch geschehn unter dem Aufbau der für mich nötigen Ceremonien unter denen ich ja nur weiterkriechen kann nicht besser wie ein Ungeziefer. Du allerdings wer weiß was alles in Dir steckt, Mut hast Du, wenigstens glaubst Du ihn zu haben, versuchs doch, was wagst Du denn, oft erkennt man sich schon, wenn man aufpaßt im Gesicht des Dieners bei der Tür.
      Wenn ich nur bestimmt wüßte, daß Du aufrichtig zu mir bist. Ich wäre schon längst oben. Wie könnte ich nur herausbringen ob Du aufrichtig zu mir bist. Du schaust mich jetzt an wie wenn ich ein kleines Kind wäre, das hilft mir nichts, das macht es ja noch ärger. Aber vielleicht willst Du es ärger machen. Dabei vertrage ich die Luft auf der Gasse nicht mehr, so gehöre ich in die Gesellschaft schon hinauf, wenn ich acht gebe, kratzt es mich im Hals, da hast Du es übrigens ich huste hast Du denn eine Ahnung, wie es mir oben gehn wird. Und der Fuß, mit dem ich den Saal betreten werde, wird schon verwandelt sein, ehe ich den andern nachziehe.

    Du hast recht, ich bin nicht aufrichtig zu Dir
    Aber Vergessen ist hier kein richtiges Wort. Das Gedächtnis dieses Mannes hat ebensowenig gelitten als seine Einbildungskraft. Aber Berge können sie eben nicht versetzen; der Mann steht nun einmal außerhalb unseres Volkes, außerhalb unserer Menschheit, immerfort ist er ausgehungert, ihm gehört nur der Augenblick, der immer fortgesetzte Augenblick der Plage, dem kein Funken eines Augenblicks der Erhöhung folgt, er hat immer nur eines: seine Schmerzen aber im ganzen Umkreis der Welt kein Zweites, das sich als Medicin aufspielen könnte, er hat nur soviel Boden als seine zwei Füße brauchen, nur soviel Halt als seine zwei Hände bedecken, also um soviel weniger als der Trapezkünstler im Variete, für den sie unten noch ein Fangnetz aufgehängt haben. Uns andere uns hält ja unsere Vergangenheit und Zukunft, fast allen unseren Müßiggang und wie viel von unserem Beruf verbringen wir damit, sie im Gleichgewicht auf und abschweben zu lassen. Was die Zukunft an Umfang voraus hat, ersetzt die Vergangenheit an Gewicht und an ihrem Ende sind ja die beiden nicht mehr zu unterscheiden früheste Jugend wird später hell wie die Zukunft ist und das Ende der Zukunft ist mit allen unsern Seufzern eigentlich schon erfahren und Vergangenheit. So schließt sich fast dieser Kreis, an dessen Rand wir entlang gehn. Nun dieser Kreis gehört uns ja, gehört uns aber nur solange als wir ihn halten, rücken wir nur einmal zur Seite, in irgendeiner Selbstvergessenheit, in einer Zerstreuung einem Schrecken, einem Erstaunen, einer Ermüdung, schon haben wir ihn in den Raum hinein verloren, wir hatten bisher unsere Nase im Strom der

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