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Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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des Zionismus die Lösungsmöglichkeiten so klar um das jüdische Problem herum angeordnet sind, daß der Schriftsteller schließlich nur einige Schritte hätte machen müssen, um die seiner Erzählung gemäße Lösungsmöglichkeit zu finden.
    Dieser Mangel entspringt aber noch einem andern. Den Jüdinnen fehlen die nichtjüdischen Zuschauer, die angesehenen gegensätzlichen Menschen, die in andern Erzählungen das Jüdische herauslocken, daß es gegen sie vordringt, in Verwunderung, Zweifel, Neid Schrecken und endlich, endlich in Selbstvertrauen versetzt wird, jedenfalls sich aber erst ihnen gegenüber in seiner ganzen Länge aufrichten kann. Das eben verlangen wir, eine andere Auflösung von Judenmassen erkennen wir nicht an. Auch berufen wir uns auf dieses Gefühl nicht nur in diesem Fall, es ist in einer Richtung wenigstens allgemein. So freut uns auch auf einem Fußweg in Italien das Aufzucken der Eidechsen vor unsern Schritten ungemein immerfort möchten wir uns bücken, sehn wir sie aber bei einem Händler zu Hunderten in den großen Flaschen durcheinanderkriechen in denen man sonst Gurken einzulegen pflegt so wissen wir uns nicht einzurichten
      Beide Mängel vereinigen sich zu einem dritten. Die “Jüdinnen” können jenen vordersten Jüngling entbehren, der sonst innerhalb seiner Erzählung die besten zu sich reißt und in schöner radialer Richtung an die Grenzen des jüdischen Kreises führt. Das eben will uns nicht eingehn, daß diesen Jüngling die Erzählung entbehren kann, hier ahnen wir einen Fehler mehr, als daß wir ihn sehn.
      Du hast heute Geburtstag, aber ich schicke Dir nicht einmal das gewöhnliche Buch, denn es wäre nur Schein; im Grunde bin ich doch nicht einmal im Stande Dir ein Buch zu schenken. Nur weil ich es so nötig habe, heute einen Augenblick und sei es nur mit dieser Karte in Deiner Nähe zu sein, schreibe ich und habe mit der Klage deshalb angefangen, damit Du mich gleich erkennst.
      Wir sind jetzt fast gewöhnt, in westeuropäischen Erzählungen, sobald sie nur einige Gruppen von Juden umfassen wollen, irgendwo unter oder über der Darstellung gleich auch die Lösung der Judenfrage zu suchen und zu finden. In den “Jüdinnen” aber wird eine solche Lösung nicht gezeigt, ja nicht einmal vermuthet, denn gerade jene Personen, die sich mit solchen Fragen befassen stehen in der Erzählung weiter vom Mittelpunkt ab, dort wo die Ereignisse sich schon rascher drehn, so daß wir sie zwar noch genau beobachten können, aber keine Gelege nheit mehr finden, um von ihnen eine ruhige Auskunft über ihre Bestrebungen zu erhalten. Kurz entschlossen erkennen wir darin einen Mangel der Erzählung und fühlen uns zu einer solchen Ausstellung umso mehr berechtigt, als heute seit dem Dasein des Zionismus die Lösungsmöglichkeiten so klar um das jüdische Problem herum angeordnet liegen, daß der Schriftsteller schließlich nur einige Schritte hätte machen müssen, um die seiner Erzählung gemäße Lösungsmöglichkeit zu finden.
    Dieser Mangel entspringt wenn man genauer zusieht einem früheren. Den Jüdinnen fehlen
      Es war schon eine Gewohnheit der vier Freunde Robert Samuel, Max und Franz geworden jeden Sommer oder Herbst ihre kleinen Ferien zu einer gemeinsamen Reise zu verwenden. Während des übrigen Jahres bestand ihre Freundschaft meist darin, daß sie gerne an einem Abend in der Woche alle vier zusammenkamen meist bei Samuel der als der wohlhabendste ein größeres Zimmer hatte, einander verschiedenes erzählten und dazu mäßig Bier tranken. Mit dem Erzählen waren sie um Mitternacht, wenn sie auseinandergiengen niemals fertig, da Robert Sekretär eines Vereins war, Samuel Angestellter eines kommerciellen Bureaus, Max Staatsbeamter und Franz’ Beamter in einem Bankgeschäft, so daß fast alles, was einer während der Woche in seinem Berufe erlebt hatte, den drei andern unbekannt und ihnen rasch erzählt sondern ohne umständliche Erklärung auch unverständlich war. Vor allem aber brachte es die Verschiedenheit dieser Berufe mit sich, daß jeder gezwungen war seinen Beruf den andern immer wieder darzustellen, denn diese Darstellungen wurden von den andern weil sie doch nur schwache Menschen waren nicht genug gründlich aufgefaßt gerade deshalb aber und auch aus guter Freundschaft immer wieder verlangt. Weibergeschichten wurden dagegen selten vorgenommen, denn wenn auch Samuel für seine Person an ihnen Geschmack gefunden hätte, so hütete er sich, zu verlangen, daß

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