Tagebücher: 1909-1923
Staatsrat, der von seinem Erholungsposten beim Fenster munter zurückkehrte, mit Bezug auf Karls Erklärung aus. Alle mit Ausnahme der Hafenbeamten brachen in Lachen aus, manche wie in Rührung, manche undurchdringlich.
So lächerlich war das was ich gesagt habe doch keineswegs dachte Karl.
“Meine Herren” wiederholte der Staatsrat Sie nehmen gegen meinen und gegen ihren Willen an einer kleinen Familienscene teil und ich kann deshalb nicht umhin, ihnen eine Erläuterung zu geben, da wie ich glaube nur der Herr Kapitän (diese Erwähnung hatte eine gegenseitige Verbeugung zur Folge) vollständig unterrichtet ist.
Jetzt muß ich aber wirklich auf jedes Wort achtgeben sagte sich Karl und freute sich als er bei einem Seitwärtsschauen bemerkte, daß in die Figur des Heizers das Leben zurückzukehren begann.
Ich lebe seit allen den langen Jahren meines amerikanischen Aufenthaltes – das Wort Aufenthalt paßt hier allerdings schlecht für den amerikanischen Bürger der ich mit ganzer Seele bin – seit allen den langen Jahren lebe ich also von meinen europäischen Verwandten vo llständig abgetrennt, aus Gründen die erstens nicht hierhergehören und die zweitens zu erzählen mich wirklich zu sehr hernehmen würde. Ich fürchte mich sogar vor dem Augenblick, wo ich gezwungen sein werde, sie meinem lieben Neffen zu erzählen, wobei sich leider ein offenes Wort ber seine Eltern und ihren Anhang nicht vermeiden lassen wird.
“Er ist mein Onkel kein Zweifel” sagte sich Karl und lauschte. “Wahrscheinlich hat er seinen Namen ändern lassen.”
“Mein lieber Neffe ist nun von seinen Eltern – sagen wir nur das Wort, das die Sache auch wirklich bezeichnet – einfach beiseitegeschafft worden, wie man eine Katze vor die Tür wirft, wenn sie ärgert. Ich will durchaus nicht beschönigen, was mein Neffe gemacht, daß er so gestraft wurde – beschönigen ist nicht amerikanische Art – aber sein Verschulden ist von der Art daß dessen einfaches Nennen schon genug Entschuldigung enthält.
“Das läßt sich hören” dachte Karl “aber ich will nicht daß er es allen erzählt. Übrigens kann er es ja auch nicht wissen. Woher denn? Aber wir werden sehn, er wird schon alles wissen. “
“Er wurde nämlich” fuhr der Onkel fort und stützte sich mit kleinen Neigungen auf das vor ihm eingestemmte Bambusstöckchen wodurch es ihm tatsächlich gelang, der Sache einen Teil der unnötigen Feierlichk eit zu nehmen, den sie sonst unbedingt gehabt hätte – er wurde nämlich von einem Dienstmädchen Johanna Brummer, einer etwa 35jährigen Person verführt. Ich will mit dem Worte verführt meinen Neffen durchaus nicht kränken, aber es ist doch schwer, ein anderes gleich passendes Wort zu finden.
Karl der schon ziemlich nahe zum Onkel getreten war, drehte sich hier um, um den Eindruck der Erzählung von den Gesichtern der Anwesenden abzulesen. Keiner lachte, alle hörten geduldig und ernsthaft zu. Schließlich lacht man auch nicht über den Neffen eines Staatsrates bei der ersten Gelegenheit die sich darbietet. Eher hätte man schon sagen können, daß der Heizer wenn auch nur ganz wenig Karl anlächelte, was aber erstens als neues Lebenszeichen erfreulich und zweitens entschuldbar war, da ja Karl in der Kabine aus dieser Sache, die jetzt so publik wurde, ein besonderes Geheimnis hatte machen wollen.
Nun hat diese Brummer setzte der Onkel fort, von meinem Neffen ein Kind bekommen, einen gesunden Jungen, welcher in der Taufe den Namen Jakob erhielt, zweifellos in Gedanken an meine Wenigkeit, welche selbst in den sicher nur ganz nebensächlichen Erwähnungen meines Neffens auf das Mädchen einen großen Eindruck gemacht haben muß. Glücklicherweise sage ich. Denn da die Eltern zur Vermeidung der Alimentenzahlung oder sonstigen bis an sie selbst heranreichenden Skandales – ich kenne wie ich betonen muß, weder die dortigen Gesetze noch die sonstigen Verhältnisse der Eltern, sondern weiß nur von zwei Bettelbriefen der Eltern aus früherer Zeit, die ich zwar unbeantwortet gelassen aber aufgehoben habe und welche meine einzige und überdies einseitige briefliche Verbindung mit ihnen in der ganzen Zeit bedeuten – da also die Eltern zur Vermeidung der Alimentenzahlung und des Skandales ihren Sohn meinen lieben Neffen nach Amerika haben transportieren lassen, mit unverantwortlich ungenügender Ausrüstung, wie man sieht – wäre der Junge, wenn man von den gerade noch in Amerika lebendigen
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