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Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Hitze wollten sich aus den Zimmern nicht rühren, weil die Studenten, die keine eigentlichen Betten hatten, wo sie gerade zuletzt saßen, ohne sich auszuziehn, in ihren verschwitzten Kleidern sich zum Schlaf niederlegten. Alles war voll Flöhe. Früh benetzte sich jeder nur flüchtig Hände und Gesicht mit Wasser und fieng wieder zu studieren an. Man lernte meist zusammen, gewöhnlich zwei aus einem Buch. Oft verbanden Debatten mehrere zu einem Kreis. Der Rosch-Jeschive erklärte nur hie und da die schwierigsten Stellen. Trotzdem L. später – er blieb 10 Tage in Ostro, schlief und aß aber im Gasthaus – 2 ihm gleichgesinnte Freunde fand (man fand einander nicht so leicht, weil man die Gesinnung und Vertrauenswürdigkeit des andern immer erst vorsichtig prüfen mußte) kehrte er doch sehr gern wieder nachhause zurück, da er an ein geordnetes Leben gewöhnt war und es vor Heimweh nicht aushalten konnte.
      Im großen Zimmer war der Lärm des Kartenspiels und später der gewöhnlichen vom Vater, wenn er gesund ist wie heute, laut wenn auch nicht zusammenhängend geführten Unterhaltung. Die Worte stellten nur kleine Spannungen eines unförmlichen Lärms vor. Im Mädchenzimmer, dessen Tür völlig geöffnet war, schlief der kleine Felix. Auf der anderen Seite in meinem Zimmer schlief ich. Die Tür dieses Zimmers war aus Rücksicht auf mein Alter geschlossen. Außerdem war durch die offene Tür angedeutet, daß man F. noch zur Familie heranlocken wollte, während ich schon abgeschieden war.

      Gestern bei Baum. Strobl sollte kommen, war aber im Teater. B. las ein Feuilleton “vom Volkslied” vor; schlecht. Dann ein Kapitel aus “Des Schicksals Spiele und Ernst”; sehr gut. Ich war gleichgültig, schlecht gestimmt, bekam keinen reinen Eindruck des Ganzen. Auf dem Nachhauseweg im Regen erzählte mir Max den gegenwärtigen Plan der “Irma Polak”. Zugeben konnte ich meinen Zustand nicht, da M. das niemals richtig anerkennt. Ich mußte daher unaufrichtig sein, was mir schließlich alles verleidete. Ich war so wehleidig, daß ich lieber zu Max sprach, wenn sein Gesicht im Dunkeln war, trotzdem dann meines in der Helligkeit sich leichter verraten konnte. Der geheimnisvolle Schluß des Romans ergriff mich dann aber durch alle Hindernisse hindurch. Auf dem Nachhauseweg nach dem Abschied Reue über meine Falschheit und Schmerz über ihre Unumgänglichkeit. Absicht ein eigenes Heft über mein Verhältnis zu Max anzulegen. Was nicht aufgeschrieben ist, flimmert einem vor den Augen und optische Zufälle bestimmen das Gesamturteil.

    Als ich auf dem Kanapee lag und in beiden Zimmern mir zur Seite laut gesprochen wurde, links nur von Frauen, rechts mehr von Männern, hatte ich den Eindruck daß es rohe negerhafte nicht zu besänftigende Wesen sind, die nicht wissen, was sie reden und nur reden, um die Luft in Bewegung zu setzen, die beim Reden das Gesicht heben und den Worten, die sie aussprechen, nachsehn.
      So vergeht mir der regnerische, stille Sonntag, ich sitze im Schlafzimmer und habe Ruhe aber statt mich zum Schreiben zu entschließen, in das ich z. B. vorgestern mich hätte ergießen wollen mit allem was ich bin, habe ich jetzt eine ganze Weile lang meine Finger angestarrt. Ich glaube diese Woche ganz und gar von Goethe beeinflußt gewesen zu sein, die Kraft dieses Einflusses eben erschöpft zu haben und daher nutzlos geworden zu sein.

      Aus einem Gedicht von Rosenfeld, das einen Meersturm darstellt: “Es flattern die Seelen, es zittern die Leiber”. Löwy verkrampft beim Recitieren die Haut der Stirn und der Nasenwurzel, wie man nur Hände verkrampfen zu können glaubt. Bei den ergreifendsten Stellen, die er einem nahebringen will, nähert er sich uns selbst oder besser er vergrößert sich, indem er seinen Anblick klarer macht. Nur ein wenig tritt er vor, hält die Augen aufgerissen, zupft mit der abwesenden linken Hand am Schlußrock und hält die rechte offen und groß uns hin. Auch sollen wir, wenn wir schon nicht ergriffen sind, seine Ergriffenheit anerkennen und ihm die Möglichkeit des beschriebenen Unglücks erklären.
      Ich soll dem Maler Ascher nackt zu einem heiligen Sebastian Modell stehn.
      Wenn ich jetzt am Abend zu meinen Verwandten zurückkehren werde, werde ich, da ich nichts geschrieben habe, was mich freuen würde, ihnen nicht fremder verächtlicher, nutzloser vorkommen als mir. Dies alles natürlich nur meinem Gefühl nach (das durch keine noch so genaue Beobachtung zu

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