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Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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leisten; trotzdem ich mich aber damit abgefunden zu haben glaube und mich also damit begnüge vor andern als vor meinen Schwestern schlecht vorzulesen, zeigt sich meine Eitelkeit, die diesmal kein Recht haben sollte, doch, indem ich mich gekränkt fühle, wenn jemand in dem Vorgelesenen etwas aussetzt, rot werde und rasch weiterlesen will, wie ich überhaupt, wenn ich einmal zu lesen angefangen habe, danach strebe, endlos vorzulesen in der unbewußten Sehnsucht daß im Verlauf des langen Lesens, zumindest in mir das eitle falsche Gefühl der Einheit mit dem Vorgelesenen sich erzeugen wird, wobei ich vergesse, daß ich niemals die genügende augenblickliche Kraft haben werde, aus meinem Gefühl auf den klaren Überblick des Zuhörers einzuwirken und daß es zuhause immer die Schwestern sind, welche mit der erwünschten Verwechslung beginnen
      5. I 11 (1912) Seit 2 Tagen konstatiere ich in mir Kühle und Gleichgültigkeit wann ich will. Gestern abend beim Spazierengehn war mir jedes kleine Straßengeräusch, jeder auf mich gerichtete Blick, jede Photographie in einem Auslagskasten wichtiger als ich.
    Die Einförmigkeit. Geschichte

    Wenn man sich am abend endgiltig entschlossen zu haben scheint, zuhausezubleiben, den Hausrock angezogen hat, nach dem Nachtmahl beim beleuchteten Tische sitzt und jene Arbeit oder jenes Spiel vorgenommen hat, nach dessen Beendigung man gewohnheitsmäßig schlafen geht, wenn draußen ein unfreundliches Wetter ist, das das Zuhausebleiben selbstverständlich macht, wenn man jetzt auch schon so lange bei Tisch still gehalten hat, daß das Weggehn nicht nur väterlichen Ärger sondern allgemeines Staunen hervorrufen müßte, wenn nun auch schon das Treppenhaus dunkel und das Haustor gesperrt ist und wenn man nun trotz alledem in einem plötzlichen Unbehagen aufsteht, den Rock wechselt, sofort straßenmäßig angezogen erscheint, weggehn zu müssen erklärt, es nach kurzem Abschied auch tut, je nach der Schnelligkeit mit der man die Wohnungstüre zuschlägt und damit die allgemeine Besprechung des Fortgehns abschneidet, mehr oder weniger Arger zu hinterlassen glaubt, wenn man sich auf der Gasse wiederfindet mit Gliedern, die diese schon unerwartete Freiheit, die man ihnen verschafft hat, mit besonderer Beweglichkeit belohnen, wenn man durch diesen einen Entschluß alle Entschlußfähigkeit in sich aufgeregt fühlt, wenn man mit größerer als der gewöhnlichen Bedeutung erkennt, daß man mehr Kraft als Bedürfnis hat, die schnellsten Veränderungen leicht zu bewirken und zu ertragen, daß man mit sich allein gelassen in Verstand und Ruhe und in deren Genusse wächst, dann ist man für diesen Abend so gänzlich aus seiner Familie ausgetreten, wie man es durchdringender durch die entferntesten Reisen nicht erreichen könnte und man hat ein Erlebnis gehabt, das man wegen seiner für Europa äußersten Einsamkeit nur russisch nennen kann. Verstärkt wird es noch, wenn man zu dieser späten Abendzeit einen Freund aufsucht, um nachzusehn, wie es ihm geht.
      Weltsch eingeladen, zum Benefice der Frau Klug zu kommen. Löwy mit seinen starken Kopfschmerzen, die wahrscheinlich ein schweres Kopfleiden anzeigen, lehnte sich unten auf der Gasse, wo er auf mich wartete, die Rechte verzweifelt an der Stirn, an eine Hausmauer. Ich zeigte ihn Weltsch, der sich vom Kanapee aus zum Fenster hinüberneigte. Ich glaubte zum erstenmal in meinem Leben in dieser leichten Weise aus dem Fenster einen mich nahe betreffenden Vorgang unten auf der Gasse beobachtet zu haben. An und für sich ist mir solches Beobachten aus Sherlock Holmes bekannt.
    6 I 12 Gestern “Vicekönig” von Feimann. Die Eindrucksfähigkeit für das Jüdische in diesen Stücken verläßt mich, weil sie zu gleichförmig sind und in ein Jammern ausarten, das auf vereinzelte kräftigere Ausbrüche stolz ist. Bei den ersten Stücken konnte ich denken, an ein Judentum geraten zu sein, in dem die Anfänge des meinigen ruhen und die sich zu mir hin entwickeln und dadurch in meinem schwerfälligen Judentum mich aufklären und weiterbringen werden, statt dessen entfernen sie sich, je mehr ich höre, von mir weg. Die Menschen bleiben natürlich und an die halte ich mich. – Frau Klug hatte Benefice und sang deshalb einige neue Lieder und machte ein paar neue Witze. Aber nur bei ihrem Antrittslied war ich ganz unter ihrem Eindruck, dann bin ich zu jedem Teilchen ihres Anblicks in der stärksten Beziehung, zu den beim Gesang ausgestreckten Armen und den

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