Tagebücher 1909-1923
tat es aber Karl daß er die Sachen im Koffer noch kaum verwendet hatte, trotzdem er es beispielsweise längst nötig gehabt hätte, das Hemd zu wechseln. Da hatte er also am unrichtigen Ort gespart; jetzt wo er es gerade am Beginn seiner Laufbahn nötig haben würde, rein gekleidet aufzutreten, würde er im schmutzigen Hemd erscheinen müssen. Das waren schöne Aussichten. Sonst wäre der Verlust des Koffers nicht gar so arg gewesen, denn der Anzug, den er anhatte war so gar besser, als jener im Koffer, der eigentlich nur ein Notanzug war, den die Mutter noch knapp vor der Abreise hatte flicken müssen. Jetzt erinnerte er sich auch, daß im Koffer noch ein Stück Veroneser Salami war, die ihm die Mutter als Extragabe eingepackt hatte von der er jedoch nur den kleinsten Teil hatte aufessen können, da er während der Fahrt ganz ohne Appetit gewesen war und die Suppe, die im Zwischendeck zur Verteilung kam, ihm reichlich genügt hatte. Jetzt hätte er aber die Wurst gern bei der Hand gehabt, um sie dem Heizer zu verehren. Denn solche Leute sind leicht gewonnen wenn man ihnen irgendeine Kleinigkeit zusteckt, das wußte Karl noch von seinem Vater her, welcher durch Cigarrenverteilung alle die niedrigern Angestellten gewann, mit denen er geschäftlich zu tun hatte. Jetzt hatte Karl an Verschenkbarem noch sein Geld bei sich und das wollte er, wenn er schon vielleicht den Koffer verloren haben sollte, vorläufig nicht anrühren. Wieder kehrten seine Gedanken zum
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Koffer zurück und er konnte jetzt wirklich nicht einsehn, warum er den Koffer während der Fahrt so aufmerksam bewacht hatte, daß ihn die Wache fast den Schlaf gekostet hatte, wenn er jetzt diesen gleichen Koffer so leicht sich hatte wegnehmen lassen.
Er erinnerte sich an die fünf Nächte, während derer er einen kleinen Slowacken, der zwei Schlafstellen links von ihm lag, unausgesetzt im Verdacht gehabt hatte, daß er es auf seinen Koffer abgesehen habe. Dieser Slowacke hatte nur darauf gelauert, daß Karl endlich von Schwäche befallen für einen Augenblick einnicke, damit er den Koffer mit einer langen Stange, mit der er immer während des Tages spielte oder übte, zu sich hinüberziehen könne. Bei Tage sah dieser Slowacke genug unschuldig aus, aber kaum war die Nacht gekommen, erhob er sich von Zeit zu Zeit von seinem Lager und sah traurig zu Karls Koffer herüber. Karl konnte dies ganz deutlich erkennen, denn immer hatte hie und da jemand mit der Unruhe des Auswanderers ein Lichtchen angezündet, trotzdem dies nach der Schiffsordnung verboten war und versuchte unverständliche Prospekte der Auswanderungsagenturen zu entziffern. War ein solches Licht in der Nähe, dann konnte Karl ein wenig eindämmern, war es aber in der Ferne oder war es dunkel, dann mußte er die Augen offenhalten. Diese Anstrengung hatte ihn recht erschöpft. Und nun war sie vielleicht ganz umsonst gewesen. Dieser Butterbaum, wenn er ihn einmal irgendwo treffen sollte.
In diesem Augenblick ertönten draußen in weiter Ferne in die bisherige vollkommene Ruhe hinein kleine kurze Schläge wie von Kinderfüßen, sie kamen näher mit verstärktem Klang und nun war es ein ruhiger Marsch von Männern. Sie giengen offenbar, wie es in dem schmalen Gang natürlich war, in einer Reihe, man hörte Klirren wie von Waffen. Karl der schon nahe daran gewesen, sich im Bett zu einem von allen Sorgen um Koffer und Slowacken befreiten Schlafe auszustrecken, schreckte auf und stieß den Heizer an um ihn endlich
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aufmerksam zu machen, denn der Zug schien mit seiner Spitze die Tür gerade erreicht zu haben. "Das ist die Schiffskapelle sagte der Heizer. Die haben oben gespielt und gehn einpacken.
Jetzt ist alles fertig und wir können gehn. Kommen Sie. " Er faßte Karl bei der Hand, nahm noch im letzten Augenblick ein Muttergottesbild von der Wand über dem Bett, stopfte es in seine Brusttasche, ergriff seinen Koffer und verließ mit Karl eilig die Kabine.
Jetzt gehe ich ins Bureau und werde den Herren meine Meinung sagen. Es ist niemand mehr da, man muß keine Rücksichten nehmen wiederholte der Heizer verschiedenartig und wollte im Gehn mit Seitwärtsstoßen des Fußes eine den Weg kreuzende Ratte niedertreten, stieß sie aber bloß schneller in das Loch hinein, das sie noch rechtzeitig erreicht hatte. Er war überhaupt langsam in seinen Bewegungen, denn wenn er auch lange Beine hatte, so waren sie doch zu schwer.
Sie kamen durch eine Abteilung der Küche, wo einige Mädchen in
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