Tagebücher 1909-1923
hätte fahren müssen." "Warum haben Sie denn fahren müssen?" "Ach was!" sagte Karl und warf die ganze Geschichte mit der Hand weg. Dabei sah er lächelnd den Heizer an, als bitte er ihn selbst für das nicht Eingestandene um seine Nachsicht. Es wird schon einen Grund gehabt haben sagte der Heizer und man wußte nicht recht, ob er damit die Erzählung dieses Grundes fordern oder abwehren wolle. "Jetzt könnte ich auch Heizer werden" sagte Karl "meinen Eltern ist es jetzt ganz gleichgiltig was ich werde."
"Meine Stelle wird frei" sagte der Heizer, steckte im Vollbewußtsein dessen die Hände in die Hosentaschen und warf die Beine, die in faltigen, lederartigen, eisengrauen Hosen steckten, aufs Bett hin, um sie zu strecken. Karl mußte mehr an die Wand rücken. "Sie verlassen das Schiff?" "Jawoll, wir marschieren heuteab." "Warum denn? Gefälltes Ihnen nicht?"
Ja, das sind so die Verhältnisse, es entscheidet nicht immer, ob es einem gefällt oder nicht. Übrigens haben Sie recht es gefällt mir auch nicht. Sie denken wahrscheinlich nicht mit Entschlossenheit daran Heizer zu werden, aber gerade dann kann man es am leichtesten werden. Ich also rate ihnen entschieden ab. Wenn Sie in Europa studieren wollten, warum wollen Sie es denn hier nicht. Die amerikanischen Universitäten sind ja unvergleichlich besser. " "Das ist ja möglich sagte Karl, aber ich habe ja fast kein Geld zum Studieren. Ich habe zwar von irgend jemandem gelesen, der bei Tag in einem Geschäft gearbeitet und in der Nacht studiert hat, bis er Doktor und ich glaube Bürgermeister wurde. Aber dazu gehört doch eine große Ausdauer, nicht Ich fürchte, die fehlt mir. Außerdem war ich gar kein besonders guter Schüler, der Abschied von der Schule is t mir wirklich nicht schwer geworden. Und die Schulen hier sind
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vielleicht noch strenger. Englisch kann ich fast gar nicht.
Überhaupt ist man hier gegen Fremde so eingenommen, glaube ich." "Haben Sie das auch schon erfahren? Na, dann ist gut.
Dann sind Sie mein Mann. Sehn sie, wir sind doch auf einem deutschen Schiff, es gehört der Hamburg Amerika Linie, warum sind wir nicht lauter Deutsche hier? Warum ist der Obermaschinist ein Rumäne? Er heißt Schubal. Das ist doch nicht zu glauben. Und dieser Lumpenhund schindet uns Deutsche auf einem deutschen Schiff. Glauben Sie nicht – Ihm gieng die Luft aus, er fackelte mit der Hand – daß ich klage um zu klagen. Ich weiß daß Sie keinen Einfluß haben und selbst ein armes Bürschchen sind. Aber es ist zu arg." Und er schlug auf den Tisch mehrmals hart mit der Faust und ließ kein Auge von ihr, während er schlug. Ich habe doch schon auf so vielen Schiffen gedient – und er nannte 20 Namen hinter einander als sei es ein Wort, Karl wurde ganz wirr – und habe mich ausgezeichnet, bin belobt worden, war ein Arbeiter nach dem Geschmack meiner Kapitäne, sogar auf dem gleichen Handelssegler war ich einige Jahre er erhob sich als sei das der Höhepunkt seines Lebens – und hier auf diesem Kasten, wo alles nach der Schnur eingerichtet ist, wo kein Witz erfordert wird – hier taug ich nichts, hier steh ich dem Schubal immer im Wege, bin ein Faulpelz verdiene herausgeworfen zu werden und bekomme meinen Lohn aus Gnade. Verstehn Sie das? Ich nicht.
" "Das dürfen Sie sich nicht gefallen lassen" sagte Karl aufgeregt. Er hatte fast das Gefühl davon verloren, daß er auf dem unsichern Boden eines Schiffes an der Küste eines unbekannten Erdteils war, so heimisch war ihm hier auf dem Bett des Heizers zumute. "Waren Sie schon beim Kapitän?
Haben Sie schon bei ihm Ihr Recht gesucht?" "Ach gehn Sie, gehn Sie lieber weg. Ich will Sie nicht hier haben. Sie hören nicht zu, was ich sage und geben mir Ratschläge. Wie soll ich denn zum Kapitän gehn. " Und müde setzte sich der Heizer wieder und legte das Gesicht in beide Hände. "Einen bessern
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Rat kann ich ihm nicht geben" sagte sich Karl. Und er fand überhaupt, daß er lieber seinen Koffer hätte holen sollen, statt hier Ratschläge zu geben die ja nur für dumm gehalten wurden.
Als ihm der Vater den Koffer für immer übergeben hatte, hatte er im Scherz gefragt: Wie lange wirst du ihn haben? und jetzt war dieser teuere Koffer vielleicht schon im Ernst verloren. Der einzige Trost war noch, daß der Vater von seiner jetzigen Lage nicht das allergeringste erfahren konnte, selbst wenn er nachforschen sollte. Nur daß er bis Newyork gekommen war, konnte die Schiffsgesellschaft gerade noch sagen. Leid
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