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Tagebücher 1909-1923

Tagebücher 1909-1923

Titel: Tagebücher 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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beim Fenster, sie bleich, nicht ganz jung, fast hohlwangig, oft die Hand an den vom Rock gepreßten Hüften, raucht viel. Die zwei ungarischen Juden, der eine beim Fenster Bergmann ähnlich, stützt mit der Schulter den Kopf des schlafenden andern. Den ganzen Morgen über etwa von 5 Uhr an geschäftliche Gespräche, Rechnungen und Briefe gehn von Hand zu Hand, aus einer Handtasche werden Muster der verschiedenartigsten Waren hervorgezogen. Mir gegenüber ein ungarischer Leutenant, im Schlaf leeres, häßliches Gesicht, offener Mund, komische Nase, früh als er Auskunft über Budapest gibt, erhitzt, mit glänzenden Augen, lebhafter Stimme, in der sich die ganze Person einsetzt. Nebenan im Coupee die Juden aus Bistritz, die nachhause zurückkehren. Ein Mann führt einige Frauen. Sie erfahren, daß eben Körös Mezö für den Civilverkehr gesperrt worden ist. Sie werden 20 Stunden oder noch mehr im Wagen fahren müssen. Sie erzählen von einem Mann, der solange in Radautz geblieben ist, bis die Russen so nah waren, und ihm keine andere Möglichkeit der Flucht blieb, als sich auf die letzte durchfahrende österreichische Kanone zu setzen. Budapest. Verschiedenartigste Auskünfte über die Verbindung mit Nagy Mihaly, die ungünstigen, denen ich nicht glaube, erweisen sich dann als die richtigen. Der Husare auf dem Bahnhof in der verschnürten Pelzjacke, tanzt und setzt die Füße wie ein zur Schau gestelltes Pferd. Nimmt Abschied von einer Dame, die wegfährt. Unterhält sie leicht und ununterbrochen, wenn nicht durch
    Worte so durch
    Tanzbewegungen und Hantieren mit dem Säbelgriff. Führt sie ein oder zweimal, aus vorsorglicher Befürchtung, der Zug könnte schon wegfahren, die Treppe zum Waggon hinauf, die Hand fast unter ihrer Achsel. Er ist mittelgroß, starke große gesunde Zähne, der Schnitt und die Taillenbetonung der Pelzjacke gibt seiner Erscheinung etwas Weibisches. Er lächelt
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    viel nach allen Seiten, ein förmlich unbewußtes sinnloses Lächeln, bloßer Beweis der selbstverständlichen fast von der Officiersehre geforderten vollständigen und immerwährenden Harmonie seines Wesens. – Das alte Ehepaar, das unter Tränen Abschied nimmt. Sinnlos wiederholte unzählige Küsse, so wie man in der Verzweiflung ohne davon zu wissen, die Cigarette immerwieder vornimmt. Familienmäßiges Verhalten ohne Rücksicht auf die Umgebung. So geht es in allen Schlafzimmern zu. Ihre Gesichtszüge können überhaupt nicht gemerkt werden, eine alte unscheinbare Frau, sieht man ihr Gesicht genauer an, versucht man es genauer anzusehn, löst es sich förmlich auf und nur eine schwache Erinnerung an irgendeine kleine gleichfalls unscheinbare Häßlichkeit etwa die rote Nase oder einige Pockennarben bleibt zurück. Er hat einen grauen Schnauzbart, große Nase und wirklich Pockennarben. Radmantel und Stock.
    Beherrscht sich gut, trotzdem er sehr ergriffen ist. Greift in wehmütigem Scherz der alten Frau ans Kinn. Was für eine Zauberei darin liegt, wenn einer alten Frau unter das Kinn gegriffen wird. Schließlich sehen sie einander weinend ins Gesicht. Sie meinen es nicht so, aber man könnte es so deuten: Sogar dieses elende kleine Glück, wie es die Verbindung von uns zwei alten Leuten ist wird durch den Krieg gestört. – Der riesige deutsche Officier marschiert mit verschiedenen kleinen Ausrüstungsstücken behängt zuerst durch den Bahnhof dann durch den Zug. Vor Strammheit und Größe ist er steif; daß er sich bewegt ist fast erstaunlich; vor der Festigkeit der Taille, der Breite des Rückens, dem schlanken Bau des Ganzen reißt man die Augen auf, um alles in einem fassen zu können. – Im Coupee zwei ungarische Jüdinnen, Mutter und Tochter. Beide ähnlich und doch die Mutter in anständiger Verfassung, die Tochter ein elendes aber selbstbewußtes Überbleibsel. Mutter –
    großes gut ausgearbeitetes Gesicht, wolliger Bart am Kinn. Die Tochter kleiner, spitziges Gesicht, unreine Haut, blaues Kleid, über dem kläglichen Busen weißer Bluseneinsatz. – Rote
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    Kreuzschwester. Sehr sicher und entschlossen. Reist, als wäre sie eine ganze Familie, die sich selbst genügt. Wie der Vater raucht sie Cigaretten und geht im Gang auf und ab, wie ein Junge springt sie auf die Bank, um etwas aus ihrem Rucksack zu holen, wie eine Mutter schneidet sie vorsichtig das Fleisch, das Brot, die Orange, wie ein kokettes Mädchen das sie wirklich ist, zeigt sie auf der gegenüberliegenden Bank ihre schönen kleinen Füße, die

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