Wie ein Ruf in der Stille: Roman (German Edition)
1
M einst du, dein Mann weiß das mit uns, Liebling?« Er umarmte sie leidenschaftlich, streifte mit seinen Lippen zärtlich ihre Schläfen.
»Und wenn schon? Ist mir doch egal«, erklärte sie. »Ich hab dieses Versteckspiel restlos satt. Ich möchte, dass alle es erfahren.«
»Oh, mein Schatz, mein süßer Schatz.« Der Mann neigte den Kopf. Dummerweise verpasste er ihr dabei einen absolut unromantischen Nasenstüber.
»Schnitt!« , brüllte jemand über die Lautsprecher am Set. Lauri Parrish fuhr erschrocken zusammen.
»Was zum Teufel ist denn mit euch los? Bekommt ihr heute gar nichts auf die Reihe? Wir hängen jetzt seit geschlagenen anderthalb Stunden an dieser blöden Szene fest.« Eine kurze Pause folgte, Schauspieler und Kamerateam blickten betreten in die Runde. »Ich komm runter.«
Lauri beobachtete fasziniert, wie die Schauspielerin zu ihrem Partner herumschnellte und ihn anfauchte: »Ich war zu nah an Kamera eins, Drake. Nicht du.«
»Rechnen war noch nie deine große Stärke, Lois. Es war Kamera drei. Ach, übrigens, hast du eigentlich keine Bedenken, dass Kamera eins die Narben von deinen diversen Faceliftings einfangen könnte?«
»Mistkerl«, zischte die Schauspielerin. Sie schob sich an dem feixenden Kameramann vorbei und stakste über den
kalten Betonboden des Fernsehstudios in Richtung der Umkleiden.
Lauri Parrish, die eher zufällig bei den Aufnahmen zu der beliebten Daily Soap Antwort des Herzens gelandet war, fand die Episode ungeheuer spannend. Wegen ihres Ganztagsjobs hatte sie zwar keine Gelegenheit, sich das Nachmittagsprogramm anzuschauen, wusste aber wie die meisten Amerikaner um dieses spezielle Serien-Highlight. Viele berufstätige Frauen legten die Mittagspause mithin bewusst so, dass sie das Fernsehdrama um die sexuellen Abenteuer und die persönlichen Krisen von Dr. Glen Hambrick nie verpassten.
Vor ein paar Tagen war Dr. Martha Norwood, Gründerin des Norwood-Instituts für Taubstumme und Hörgeschädigte, mit einer Bitte an sie herangetreten. Lauri war dort als Lehrerin beschäftigt.
»Es geht um Jennifer Rivington, eine unserer Schülerinnen. Ihr Vater möchte sie von der Schule nehmen«, hatte ihre Chefin das Gespräch begonnen.
»Ich kenne Jennifer ganz gut«, antwortete Lauri. »Sie leidet unter einer starken Hörbehinderung, ist total unkommunikativ und unzugänglich.«
»Das ist es ja, was ihrem Vater Sorgen macht.«
»Vater? Keine Mutter?«
Dr. Norwood überlegte kurz, bevor sie antwortete: »Nein, ihre Mutter ist tot. Ihr Vater hat einen etwas ungewöhnlichen Job. Deshalb ist Jennifer schon sehr früh in unser Internat gekommen. Sie hat sich aber bei uns nie wohlgefühlt. Jetzt möchte er eine private Lehrkraft einstellen, die sie in seinem Haus betreut. Ich dachte, das könnte Sie interessieren, Lauri.«
Die junge Frau zog kaum merklich die schön geschwungenen dunklen Brauen hoch. »Ich weiß nicht. Können Sie mir vielleicht ein bisschen mehr darüber erzählen?«
Die grauhaarige Dame musterte ihre Lehrkraft aus scharfsichtigen blauen Augen. Sie hielt große Stücke auf Lauri. »Viel mehr kann ich dazu im Moment auch nicht sagen. Mr. Rivington möchte wohl, dass die Lehrerin mit Jennifer nach New Mexico zieht. Er hat dort ein Haus in einer kleinen Gemeinde in den Bergen.« Dr. Norwood lächelte milde. »Ich weiß doch, dass Sie lieber heute als morgen von New York fortwollen. Und Sie sind mit Sicherheit qualifiziert für eine solche Aufgabe.«
Lauri lachte leise. »Wenn man wie ich in Nebraska aufgewachsen ist, findet man New York zwangsläufig zu laut und zu beengt. Ich bin seit acht Jahren hier, und ich vermisse die ländliche Umgebung, die unendlichen Weiten, die Berge.« Sie schob sich eine vorwitzige brünette Locke aus der Stirn. »Scheint mir ganz so, als wollte Mr. Rivington die Verantwortung für seine Tochter auf jemand anderen abschieben. Ist er der Typ Vater, der sein Kind ablehnt, weil es behindert ist?«
Dr. Norwood blickte auf ihre sorgfältig manikürten Hände, die gefaltet auf der Schreibtischplatte ruhten. »Seien Sie nicht so vorschnell mit Ihrer Beurteilung, Lauri«, krittelte sie sanft. Bisweilen war die junge, tüchtige Pädagogin ziemlich impulsiv. Das war ihr größtes Manko – sie neigte zu voreiligen Schlüssen. »Wie schon erwähnt, die Umstände sind ziemlich ungewöhnlich.«
Die Institutsleiterin stand abrupt auf, die Besprechung war zu Ende. »Sie müssen sich nicht schon heute entscheiden,
Lauri. Ich möchte, dass Sie
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