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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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an ihn richtete, daß er seine Mitschuldigen nennen solle, antwortete der Unglückliche meistens nur durch Schmerzgeschrei und Seufzer. Mehrere kamen bei diesen schrecklichen Qualen um; man berechnete, was ihnen noch an Kräften bleibe, um zu leiden, und manchmal täuschte man sich in dieser häßlichen Rechnung.
    Die Stärksten konnten nicht dieser barbarischen Probe über eine gewisse Grenze hinaus widerstehen. Wenn blutiger Schaum auf ihre Lippen trat und der Schweiß des Todeskampfes sich auf den bleichen Schläfen zeigte, beeilte man sich, sie loszubinden und auf einer Matratze auszustrecken. Das kam fast immer beim achten spanischen Stiefel vor.
    Wenn unter die Protokolle über die peinliche Frage, die wir noch haben, die schwache Hand des Gequälten nur noch unleserliche Züge setzen kann, die ebensoviel Blutflecke zu sein scheinen, so sind die Unterschriften der Richter und des Kanzleischreibers nicht von sichererer Hand. Man sieht, wie plötzlich eine Art von Fieber sich aller handelnden Personen bei dieser schrecklichen Szene bemächtigt hat, wie der, der die Fragen stellt, nicht mehr hört, der, welcher schreibt, die Feder konvulsivisch über das Papier laufen läßt, ohne Buchstaben zeichnen zu können. Die Erregung bringt bei ihnen dieselbe Wirkung hervor wie das Leiden bei dem Schlachtopfer.
    So war noch zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts der letzte Tag eines Verurteilten. Abends überlieferte man dem Scharfrichter, was noch von diesem menschlichen Wesen übriggeblieben war. Der Kanzleischreiber und der Huissier begleiteten diese Trümmer bis zu dem Orte der Hinrichtung, ermahnten ihn ein letztes Mal, seine Mitschuldigen zu nennen, und zogen sich dann zurück, nachdem sie ihn feierlich gegrüßt hatten. Ich finde, daß in diesem Gruße etwas sehr Düsteres lag, noch viel schrecklicher als das
»Ave, Caesar, morituri te salutant«
der Märtyrer.
    Nun kam die Reihe an den Scharfrichter. Er mußte ein so gut begonnenes Werk der Zerstörung vollenden: mit einer Eisenbarre die Gelenkverbindungen dieser verstümmelten Glieder zerbrechen und diesen noch nicht toten Leichnam mit gegen den Himmel gerichtetem Gesichte auf ein Rad befestigen, bis er ausgeatmet hatte. Warum wurde das Gesicht gen Himmel gewandt? Geschah es, damit der Unglückliche bis dahin einen Schrei der Rache für die menschliche Grausamkeit emporsenden könne?
    Ich will erst später auf die Prozesse unter Ludwig XIV. zurückgreifen und jetzt Geschehnisse erzählen, die erst kurz vor meines Ahnen Tode spielen, aber in gewissem Sinne die Fortsetzung der Geschichte des Henkers bilden.
Der Bettler
    Sanson von Longval war immer fromm gewesen, aber in den letzten Jahren seines Lebens erfüllte er die religiösen Pflichten mit noch größerem Eifer.
    Es war damals Brauch, daß etwa zwanzig Bettler beiderlei Geschlechts sowohl an der Kirchhofstür als unter der Halle des Gebäudes Platz nahmen.
    Mein Ahne ging selten an diesen Bettlern vorüber, ohne ihnen ein Almosen zu reichen.
    Er hatte unter denen, welchen er auf diese Weise zu Hilfe kam, einen Greis bemerkt, der ihm seinerseits, sobald er vorüberging, stets mit auffälliger Aufmerksamkeit nachblickte.
    Dieser Mann konnte etwa sechzig Jahre alt sein; weder Alter noch Elend hatten die Regelmäßigkeit seiner Gesichtszüge angegriffen. Mit seiner hohen und kahlen, vielfach gefurchten Stirn und dem langen grauen Barte, der ihm bis auf die Brust hinabhing, konnte man ihn leicht für das Bild eines der Christenapostel halten, der aus einer der gotischen Nischen der Kirchenhalle herabgestiegen sei.
    Aber mit dem Kopfe hörte auch diese Ähnlichkeit auf, und die Menschlichkeit zeigte sich von da ab in ihrem ganzen Schrecken.
    Das Oberteil der Beinkleider dieses Bettlers war auf dem Schenkel zerrissen und zeigte dem öffentlichen Mitleid ein schreckliches Geschwür auf dem Beine.
    Leider schien nur dieses Geschwür, das man für hundertfach tödlich halten mußte, von ganz besonderer Art zu sein, denn es veränderte sich niemals, weder zum Guten noch zum Schlechten.
    Während fünf Jahren, in denen Sanson von Longval den Bettler an der Tür der Kirche Notre-Dame-de-Bonne-Nouvelle sah, fand er jedesmal dasselbe Leiden unverändert, dasselbe bläuliche wilde Fleisch, und man hätte dabei an ein Wunder glauben können, wäre es nicht natürlicher gewesen, zu vermuten, es sei nur eine Täuschung, die der Mann mit der Unverschämtheit oder Naivität der damaligen Bettler sich täglich unverändert zu

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