Tagebücher der Henker von Paris
zu dem großen Kampfe des Lebens gegen den Tod, der das unwiderstehliche Gesetz der Natur ist, zu ziehen!
Dieser Gedanke bemächtigte sich ganz und gar seines Geistes, und gewiß war er in der Nacht, als er ihn zum ersten Male zur Ausführung brachte, nicht weniger erregt als André Bésale, der sich über die religiösen Skrupel seiner Zeit fortsetzte und zuerst die Ehrfurcht vor den Toten zu verletzen wagte, um die Fackel der Anatomie anzuzünden.
Seine Bemühungen blieben nicht unfruchtbar; wir haben von ihm interessante Beobachtungen über das Spiel der Muskeln und der Gelenke sowie mehrere Rezepte gegen die Affektionen dieses Teiles des Organismus aufbewahrt gefunden.
Das Studium der Anatomie und die Bereitung gewisser Hilfsmittel haben sich übrigens in meiner Familie erhalten. Keiner von uns hat sich davon zurückgezogen, und wir hatten unter anderem einen Balsam, dessen Wirksamkeit gegen die eingewurzeltsten Schmerzen anerkannt war.
Wir verkauften diese Mittel sehr teuer, ich gebe es zu, aber nur der Aristokratie und reichen Leuten, den Armen gaben wir sie umsonst; das glich sich wieder aus.
Ich kehre jetzt wieder zu Sanson de Longval zurück. Die Wohnung in dem Hause des Schandpfahls, das mitten auf einem lärmenden und bevölkerten Markte lag, umgeben von Buden, die dazu gehörten, schien ihm weder heimlich genug für seine Arbeiten, noch paßte sie für seine Gemütsstimmung.
Diese Erwägungen bestimmten Sanson von Longval, sein Haus des Schandpfahls zu verlassen, weil sein Amt ihn nicht nötigte, daselbst zu wohnen. Es gab damals in Paris ein fast wüstes Stadtviertel, das man Neu-Frankreich nannte; es ist die Stelle, die heute ein Teil des Faubourg Poissonnière einnimmt.
Nach Neu-Frankreich, neben der Sankt-Annenkirche, verlegte Charles Sanson seine Wohnung, nachdem er das Haus des Schandpfahles für sechshundert Livres, für damalige Zeit eine bedeutende Summe, vermietet hatte. Wir werden später sehen, daß meine Familie sich in diesem Viertel fest einrichtete und es nicht mehr verließ. Nur ich habe es aufgegeben, als ich nach meiner Verzichtleistung mit allen Erinnerungen an die Vergangenheit brechen wollte.
Die ersten Jahre nach der Ankunft Charles Sansons von Longval in Paris bieten nichts Bemerkenswertes.
Fast alle Todesurteile wurden durch eine Kammer des Parlaments erlassen, die sich die Kriminalkammer nannte. Die gerichtlichen Formen waren kurz und summarisch.
Wenn ein Angeklagter darauf bestand, das Verbrechen, das man ihm zur Last legte, zu leugnen, befahl der Hof meistens die vorbereitende Frage, und man suchte ihm durch schreckliche Qualen das Geständnis zu entreißen, das er verweigerte. Wenn in anderen Fällen die Schuld durch hinreichende Beweise festgestellt schien, so fügte die Kriminalkammer, indem sie das Todesurteil erließ, hinzu, daß der Verurteilte, ehe er zur Hinrichtung geführt würde, der gewöhnlichen und außergewöhnlichen Frage unterworfen werden solle, um seine Mitschuldigen, wenn er solche hätte, anzugeben.
Dieses Geschäft des Torturmeisters gehörte glücklicherweise nicht zu den Amtspflichten des Scharfrichters, es wurde von Beamten, die besonders angestellt waren, verwaltet. Einer meiner Großonkel war mit diesem Amte bekleidet, denn es scheint, daß man in meiner Familie gezwungen war, alle diese Scheußlichkeiten miteinander zu vereinigen. Er hat darüber Berichte hinterlassen, bei denen einem die Haare zu Berge stehen. Ich will ein für allemal dieses Verfahren angeben.
An dem Tage, an dem das Urteil vollzogen werden sollte, begab sich der erste Kommis der Kriminalkanzlei, von einem Huissier des Châteletplatzes begleitet, in die Torturkammer. Dies war ein großer düsterer Saal, damit man nicht deutlich die Gesichtszüge sehe, und hermetisch verschlossen, um zu verhindern, daß das Schmerzgeschrei nach außen dringe. Der Verurteilte wurde darauf eingeführt, man ließ ihn niederknien und las ihm laut das Urteil vor. Dann wurde er ergriffen, gebunden und von dem Torturmeister auf der Folterbank ausgestreckt. In diesem Augenblicke traten zwei Parlamentsräte ein, abgeordnete Kommissarien, um ihn zu befragen.
Das Verhör begann sogleich. Zwischen jeder Frage wurde eine neue Tortur bei dem Delinquenten angewandt; man preßte ihm die Glieder in einem Schraubstock, man zerriß ihm das Fleisch und zerbrach ihm die Knochen. Warum sollte man auch noch diesen Körper schonen, der am Abend ein Leichnam sein würde?
Auf wiederholte Aufforderungen, die man
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