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Tagebücher

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Titel: Tagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Schlag klar werdende Beziehungen, übriggeblieben ist kaum die Erinnerung an das Grundgefühl: Mein Bruder hat ein Verbrechen, ich glaube, einen Mord begangen, ich und andere sind an dem Verbrechen beteiligt, die Strafe, die Auflösung, die Erlösung kommt von der Ferne her näher, mächtig wächst sie heran, an vielen Anzeichen merkt man ihr unaufhaltsames Näherkommen, meine Schwester, glaube ich, kündigt diese Zeichen immer an, die ich immer mit verzückten Ausrufen begrüße, die Verzückung steigert sich mit dem Näherkommen. Meine einzelnen Ausrufe, kurze Sätze, glaubte ich wegen ihrer Sinnfälligkeit nie vergessen zu können und weiß jetzt keinen einzigen mehr genau. Es konnten nur Ausrufe sein, denn das Sprechen machte mir große Mühe, ich mußte die Wangen aufblasen und dabei den Mund verdrehn, wie unter Zahnschmerzen ehe ich ein Wort hervorbekam.
    Das Glück bestand darin, daß die Strafe kam und ich sie so frei, überzeugt und glücklich willkommen hieß, ein Anblick, der die Götter rühren mußte, auch diese Rührung der Götter empfand ich fast bis zu Tränen.

    21 (Oktober 1921) Nachmittag auf dem Kanapee

    Es war ihm unmöglich gewesen in das Haus einzutreten, denn er hatte eine Stimme gehört, welche ihm sagte: "Warte, bis ich Dich führen werde. " Und so lag er noch immer im Staub vor dem Haus, trotzdem wohl schon alles aussichtslos war (wie Sara sagen würde)

    Alles ist Phantasie, die Familie, das Bureau, die Freunde, die Straße, alles Phantasie, fernere oder nähere, die Frau die nächste, Wahrheit aber ist nur daß Du den Kopf gegen die Wand einer fenster-und türlosen Zelle drückst.

    22 (Oktober 1921) Ein Kenner, ein Fachmann, einer der seinen Teil weiß, ein Wissen, allerdings, das nicht vermittelt werden kann, aber glücklicherweise auch niemandem nötig zu sein scheint.

    23 (Oktober 1921) Nachmittag Palästinafilm

    nach dem Nachtmahl

    25 (Oktober 1921) gestern Ehrenstein

    Die Eltern spielten Karten; ich saß allein dabei, gänzlich fremd; der Vater sagte, ich solle mitspielen oder wenigstens zuschauen; ich redete mich irgendwie aus. Was bedeutete diese seit der Kinderzeit vielmals wiederholte Ablehnung? Das gemeinschaftliche, gewissermaßen das öffentliche Leben wurde mir durch die Einladung zugänglich gemacht, die Leistung, die man als Beteiligung von mir verlangte, hätte ich nicht gut, aber leidlich zustandegebracht, das Spielen hätte mich wahrscheinlich nicht einmal allzu sehr gelangweilt - trotzdem lehnte ich ab. Ich habe, wenn man es danach beurteilt, unrecht, wenn ich mich beklage, daß mich der Lebensstrom niemals ergriffen hat, daß ich von Prag nie loskam, niemals auf Sport oder auf ein Handwerk gestoßen wurde udgl. - ich hätte das Angebot wahrscheinlich immer abgelehnt, ebenso wie die Einladung zum Spiel. Nur das Sinnlose bekam Zutritt, das Jusstudium, das Bureau, später dann sinnlose Nachträge, wie ein wenig Gartenarbeit, Tischlerei udgl., diese Nachträge sind so aufzufassen, wie die Handlungsweise eines Mannes, der den bedürftigen Bettler aus der Tür wirft und dann allein den Wohltäter spielt, indem er Almosen aus seiner rechten in seine linke Hand gibt.

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    Ich lehnte also immer ab, wohl aus allgemeiner und besonders aus Willensschwäche, ich habe das verhältnismäßig sehr spät erst begriffen. Ich hielt diese Ablehnung früher meist für ein gutes Zeichen (verführt durch die allgemeinen großen Hoffnungen die ich auf mich setzte), heute ist nur noch ein Rest dieser freundlichen Auffassung geblieben.

    29 (Oktober 1921) Einen der nächsten Abende beteiligte ich mich dann wirklich, indem ich für die Mutter die Ergebnisse notierte. Es ergab sich aber kein Nähersein, und wenn auch eine Spur dessen da war, so wurde sie überhäuft von Müdigkeit, Langweile, Trauer über die verlorene Zeit. So wäre es immer gewesen. Dieses Grenzland zwischen Einsamkeit und Gemeinschaft habe ich nur äußerst selten überschritten, ich habe mich darin sogar mehr angesiedelt als in der Einsamkeit selbst. Was für ein lebendiges schönes Land war im Vergleich hiezu Robinsons Insel.

    30 (Oktober 1921) Nachmittag, Teater, Pallenberg

    Meine inneren Möglichkeiten für (ich will nicht sagen Darstellung oder Dichtung des Geizigen, sondern für) den Geizigen selbst. Nur ein schneller entschlossener Griff wäre nötig, das ganze Orchester schaut fasciniert dorthin, wo über dem Kapellmeisterpult der Taktstock sich erheben soll.

    Das Gefühl der vollständigen

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