Tallinn-Verschwörung
Petra grinste spitzbübisch und verschwand.
Torsten schnaubte verärgert und drehte sich dann zu Graziella um. »Eher kaufe ich uns selbst Karten, als dass ich wegen Petra den Zug versäume!«
SIEBEN
T orstens Sorgen waren unnötig, denn genau fünf Minuten vor der Abfahrt des Zuges tauchte Petra abgehetzt und mit verschwitzten Haaren am Bahnsteig auf. Ihre gute Laune hatte sie allerdings nicht verloren, denn sie zeigte stolz auf eine grellrote Computertasche, an der noch das Preisschild hing.
»Die habe ich zu einem Sonderpreis bekommen, weil der Computerfritze sie loshaben wollte. So eine habe ich mir schon immer gewünscht, aber bisher war mir das Ding zu teuer. Bei dem heutigen Preis habe ich jedoch zuschlagen müssen.« Petra sagte es in einem Ton, als wäre sie eine arme Studentin, die auf ihr Bafög angewiesen war, und nicht eine Frau, der Bill Gates persönlich einen üppigen Scheck ausgestellt hatte.
Graziella, die von diesem Geld nichts wusste und Petra tatsächlich für ein armes Mädchen hielt, lobte die Tasche so ausgiebig, dass Torsten der Kragen platzte. »Wenn ihr jetzt nicht einsteigt, fährt der Zug noch ohne uns ab – oder, besser gesagt, ohne euch!«
»Wir sind gleich drin!« Petra zwinkerte Graziella zu und watschelte zur Zugtür. Die junge Italienerin folgte ihr, während Torsten grummelnd die Koffer hinter ihnen herschleppte. In seinen Augen benahmen die beiden Frauen sich, als wären sie auf einem Schulausflug, und schienen die Gefahren, die auf sie lauerten, nicht einmal ansatzweise zu begreifen.
In dem von Petra reservierten Abteil hatte sich bereits eine siebenköpfige Familie häuslich niedergelassen und wollte die Plätze nicht räumen. Graziella machte ihrer Empörung in klangvollem Italienisch Luft, und prompt zischte die dickliche Frau mittleren Alters eine ausländerfeindliche Bemerkung, während ihr hagerer, vollbärtiger Mann mit verbiesterter
Miene neben ihr saß und Torsten und dessen Begleiterinnen wütend anstarrte. Die durcheinander wuselnde Nachkommenschaft der beiden kreischte und schrie, und ein Junge trat sogar nach Graziella.
Torsten wurde es zu bunt. »Raus, sonst breche ich dir sämtliche Gräten!«, herrschte er den Bärtigen an, während er sich gleichzeitig wunderte, dass er sich über eine solche Lappalie aufregen konnte.
»So sprichst du nicht mit meinem Mann, du Rüpel!« Die Dicke streckte ihre Krallenhände aus, um Torsten damit durchs Gesicht zu fahren. Ihm blieb nichts anderes übrig, als ihre Arme zu packen und festzuhalten. Daraufhin schrie sie so laut, dass es selbst auf dem Bahnhofsvorplatz noch zu hören sein musste.
Endlich tauchte der Schaffner auf. Der Mann starrte auf die Szene und wusste im ersten Augenblick nicht, wie er sich verhalten sollte.
»Sie, rufen Sie die Polizei, damit dieser Kerl hier eingesperrt wird! Das ist ein ganz gefährlicher Verbrecher. Er hat meinen Mann bedroht, und gegen mich ist er gewalttätig geworden«, rief die Dicke, bevor auch nur ein anderer den Mund aufmachen konnte.
»Das hier ist unser Abteil. Hier ist die Online-Reservierung. Diese Herrschaften haben sich hier breitgemacht und sind auf unsere Bitte hin, die Plätze zu räumen, ausfällig geworden. « Petra hielt dem Schaffner lächelnd den Computerausdruck hin und zeigte dann auf die Nummer des Abteils.
»So ein Ding kann sich doch jeder machen!« Die Dicke wollte nach dem Ausdruck greifen, doch der Schaffner war schneller und drehte ihr den Rücken zu. Er scannte den Strichcode auf Petras Blatt mit seinem Lesestift ein und ließ sich von ihr den Ausweis zeigen. Als er sich dann wieder dem anderen Paar zuwandte, zog er eine strenge Miene.
»Die Herrschaften haben das Abteil reservieren lassen. Also sind sie im Recht. Es tut mir leid, aber Sie werden mit Ihren Kindern ein anderes Abteil aufsuchen müssen.«
Als der Bärtige und seine Frau das hörten, machten beide ein Gesicht, als hätten sie Essig trinken müssen.
»Unverschämtheit! Wie können drei Personen ein ganzes Abteil für sich beanspruchen?« Die Dicke giftete und machte keine Anstalten, das Abteil zu räumen.
Dem Schaffner drohte der Kragen zu platzen. »Gehen Sie jetzt, oder ich rufe wirklich die Polizei, dann aber, um Sie hier rausschaffen zu lassen.«
Die Antwort der Frau bestand aus einem Schimpfwort, das dem Schaffner die Zornröte ins Gesicht trieb. »Wenn Sie es so wollen, kann ich auch anders.« Er griff zu seinem Handy und rief die Bahnpolizei an.
Dem Ehemann der Frau
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