Tallinn-Verschwörung
…«
»Auf das ›oder‹ bin ich gespannt«, stichelte Torsten.
Wagner blieb jedoch völlig ungerührt, als er den unterbrochenen Satz wieder aufnahm. »Wir haben Frau Waitl als Alternative vorgeschlagen, dass wir Sie zu ihrer persönlichen Bewachung abstellen, und zwar für vierundzwanzig Stunden am Tag. Da waren wir ihr doch lieber.«
Graziella und Petra bogen sich vor Lachen, während Torsten erst einmal kräftig schluckte. Dann aber lachte er ebenfalls und versetzte Petra einen scherzhaften Rippenstoß.
»Ich vergönne dir diesen alten Leuteschinder und dich ihm.«
»Was heißt hier Leuteschinder? Immerhin habe ich dafür gesorgt, dass Sie trotz Befehlsmissachtung und einiger anderer Kleinigkeiten ungeschoren aus der Sache herausgekommen sind. Ich habe Ihnen sogar eine Beförderung verschafft. Sobald Ihr Genesungsurlaub vorbei ist, melden Sie sich bei mir als Oberleutnant, verstanden?«
»Da bleibt mir vor lauter Dankbarkeit ja fast die Sprache weg. Für was werde ich denn eigentlich befördert? Für diese Lügen hier oder für das, was wirklich geschehen ist?«
»Welche Lügen? Was hier steht, ist die reine Wahrheit.« Wagner tat ganz harmlos, doch das Grinsen auf seinem Gesicht sprach Bände.
Torsten las die Schlagzeile jetzt laut vor. »Die Gruppe Islamischer
Bewaffneter Kampf kündigt Rache für die Märtyrer von Tallinn an!« Dann blickte er zu Wagner auf. »Sie wollen mir doch nicht weismachen, dass diese Drohung echt ist.«
»Wer kann das in der heutigen Zeit schon sagen?«, gab Wagner zurück.
»Major, alle reden von einem vereitelten Anschlag der Islamisten. Aber von den wahren Tätern, nämlich den Faschisten, den Neonazis und den mit ihnen verbündeten Kirchenkreisen ist nirgends die Rede. Dabei sind die für Europa gefährlicher als alle Bin Ladens zusammen.«
»Jetzt beruhigen Sie sich wieder und bestellen sich einen zweiten Caffè Latte. Der Schokoladenkuchen schmeckt übrigens ausgezeichnet. Das kann Frau Waitl Ihnen gewiss bestätigen. « Wagner sandte Torsten dabei einen warnenden Blick zu, denn es gab Dinge, über die man in einem Café in Rom nicht zu laut reden sollte. Trotzdem rückte er auf seinen Untergebenen zu und sprach leise weiter.
»Sie haben Ihren Job gemacht, aber das tun andere auch. In den letzten vier Wochen sind in Deutschland, Italien und einigen anderen Ländern eine Menge Leute verhaftet worden, darunter übrigens auch Hoikens’ estnischer Fahrer. Anderen hat man nahegelegt, von ihren Posten zurückzutreten. Was die katholische Kirche betrifft, so lässt sich die betreffende Gruppe zum Glück genau einkreisen. Es handelte sich nur um eine Handvoll Drahtzieher und mehrere Dutzend Handlanger, von denen die meisten niemals mitgemacht hätten, wenn ihnen das Ausmaß des Ganzen bewusst gewesen wäre.«
»Die Verbindungen dieser Leute müssen bis in die Ministerien und hohen Dienststellen bei Militär und Geheimdiensten gereicht haben«, wandte Torsten ein.
Wagner nickte. »Das stimmt. Aber den meisten war nicht klar, auf was sie sich eingelassen haben. Sie sind erkannt und
abserviert worden, stellen also keine Gefahr mehr dar. In der Kirche selbst war nur die Gruppe um Kardinal Winter in seine Pläne eingeweiht.«
»Die Söhne des Hammers«, warf Graziella ein.
»Ja, aber von diesen auch nur der innere Kern, und der ist zerschlagen. Kardinal Winter und Don Batista sind von ihren eigenen Verbündeten ermordet worden. Monsignore Kranz wird den Rest seines Lebens in einem abgeschiedenen Kloster verbringen, das er nicht mehr verlassen darf. Sein Sekretär Matthias Täuberich hat Selbstmord begangen, und der Rest des aktiven Kerns um den vatikanischen Archivar Lodovico Trebelli hat die Säuberungsaktion in Albanien nicht überstanden. Damit ist die Lage hier ebenso geklärt wie bei uns in Deutschland. Feilings Gruppe existiert nicht mehr, und er selbst wurde in Albanien als Drogenschmuggler verhaftet. Er wird sich noch wünschen, wir hätten ihn erwischt, denn die dortigen Gefängnisse sollen keine Erholungsheime sein.«
Bei dem Gedanken grinste Wagner schadenfroh und rief dem Ober zu, noch eine Runde Caffè Latte für alle zu bringen.
Torsten fand immer noch ein Haar in der Suppe. »Die Sache gefällt mir trotzdem nicht. Warum belügt man die Öffentlichkeit? Warum sagt man den Leuten nicht offen und ehrlich, was geschehen ist, sondern macht obskure islamistische Terroristen dafür verantwortlich?«
»Mein lieber Renk, wenn bekannt würde, was wirklich gelaufen
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