Tallinn-Verschwörung
Verhältnisse nahm der Kardinal das Päckchen und öffnete es. Beim Anblick der Pralinenschachtel begannen seine Augen zu glitzern. Das Essen hier im Kloster war zwar nicht schlecht, aber sehr einfach, und Extras gab es keine. Auch vermisste er seinen gewohnten Espresso, denn der, der hier gebrüht wurde, schmeckte bei weitem nicht so gut wie Noras. Vor allem aber war ihm der Verzicht auf Schokolade schwergefallen. Doch trotz seines Heißhungers auf Süßes blieb er auch in dieser Situation ein Edelmann. Er öffnete die Packung und hielt sie dem Mönch hin.
»Hier, nehmen Sie sich eine.«
Der Mönch blickte auf die Schachtel und leckte sich unbewusst die Lippen. »Ich bin so frei, Eure Eminenz. Vergelte es Ihnen Gott.« Mit diesen Worten nahm er eine Praline und steckte sie mit verzückter Miene in den Mund. Auch Monteleone griff zu und ließ sich zuerst eine und dann eine zweite Praline schmecken.
»Noch einmal vergelt’s Gott!« Der Mönch verabschiedete sich und ging.
Monteleone stellte die Pralinenschachtel auf dem kleinen Tisch ab, der zusammen mit einem schmalen Bett, einem altertümlichen Nachtkästchen und einem Betstuhl die gesamte Einrichtung des Kämmerchens darstellte, in das man ihn gesperrt hatte. Dabei traf sein anklagender Blick das Kruzifix an der Wand.
»Behandelt man so einen alten Mann, der sein Leben für deine Kirche aufgeopfert hat? Wenn ich zur Toilette will, muss ich an die Tür klopfen und hoffen, dass mich jemand rechtzeitig genug hört, um mir aufzumachen.« Er tröstete sich mit einer dritten und vierten Praline und nahm dann wieder sein Schreibzeug zur Hand, um weiter an der Verteidigungsschrift zu arbeiten, die er an den Papst schicken wollte. Von Zeit zu Zeit hielt er inne und steckte eine Praline in den Mund.
Monteleone überlegte gerade, ob er den nächsten Absatz kämpferisch oder doch lieber demütig beginnen sollte, als es erneut an seine Tür klopfte. Der gleiche Mönch wie vorhin steckte den Kopf herein.
»Sie haben Besuch, Eminenz!«
»Vielleicht Graziella?« Monteleone lebte auf. Das Mädchen konnte seinen Entwurf ins Reine tippen und dem Papst zukommen lassen. Es war daher eine Enttäuschung für ihn, als nicht seine Großnichte, sondern einer der Archivare des Vatikans zur Tür hereinkam.
Lodovico sah den Kardinal mit großen Augen an und blickte dann unwillkürlich zu der Pralinenschachtel. Sie war bereits über die Hälfte geleert, doch noch verriet kein Anzeichen, dass Monteleone dem Tode nahe war. Mit einem Mal bekam er es mit der Angst zu tun, Don Batista könnte sich bei der Dosierung des Mittels vertan haben.
»Was wollen Sie?« Monteleone ärgerte sich über das Schweigen seines Besuchers.
»Einen wunderschönen guten Morgen, Eure Eminenz«, presste Lodovico hervor.
»Für Sie mag er ja schön sein, aber ich habe schon bessere erlebt.« Der Kardinal griff zur nächsten Praline, besann sich dann auf seine Gastgeberpflichten und reichte die Schachtel dem Besucher hin. »Hier, nehmen Sie sich auch eine.«
Lodovico riss erschrocken die Arme hoch. »O nein! Ich bin Diabetiker, müssen Sie wissen.«
»Auch gut. Dann bleiben mehr für mich.« Die nächste Praline wanderte in den Mund des Kardinals. Da Lodovico auch nach zwei weiteren Pralinen noch immer nicht mit der Sprache herausrückte, blickte Monteleone ihn streng an.
»Also, was wollen Sie?«
»Ich muss mit Ihnen über einige Unterlagen reden, die im Archiv vermisst werden.« Lodovico gab dem Mönch, der ihn hierher begleitet hat, einen Wink, dass er ihn mit Monteleone allein lassen sollte. Der Mann verabschiedete sich hastig und zog sich zurück, steckte dann aber noch einmal den Kopf zur Tür herein.
»Ich habe vom Abt die Anweisung erhalten, diese Zelle abzusperren. Wenn Sie wieder herauswollen, müssen Sie klopfen. « Nach diesen Worten verschwand er.
Obwohl dem Kardinal die aufgezwungene Einsamkeit auf die Nerven ging, war Lodovico nicht gerade der Besucher, der ihm Freude machte, und er hoffte, ihn bald wieder loszuwerden.
»Also, um welche Unterlagen handelt es sich?«, fragte er unwillig.
»Ihre Nichte hat mehrere Akten aus dem Archiv geholt und nicht mehr zurückgebracht. Zudem fehlen einige Aufzeichnungen von Kardinal Rocchigiani, die ebenfalls von Signorina Graziella abgeholt worden sind.«
Monteleone zeigte schnaubend auf die beschriebenen Papierbögen auf seinem Tisch. »Das hier ist alles, was bei mir zu finden ist. Ich habe es in den letzten Tagen geschrieben, um es Seiner
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