talon007
die Arena.
N’gra, alter Führer eines stolzen Rudels tief im Osten, war nicht bereit, sich dem schemenhaften Schwarz eines formlosen Schattens zu beugen. Seine lange Mähne war durchsetzt mit schwarzen Strähnen. Tiefe Kerben in der Haut des Löwens zeugten von den zahlreichen Kämpfen, die er bestanden hatte.
Mit kraftvollen Schritten jagte er die Gänge nach unten und überwand die Kante zum Podest mit einem mächtigen Satz. Knurrend lauerte er auf den ersten Schritt Shions.
Stumm lauerte Talon im Schatten einer steinernen Strebe auf die beiden Wächter, die ihren gewohnten Rundgang machten. Er hatte den Speer mit seinen Händen fest umschlossen und ließ die hochgewachsenen Männer an sich vorbeiziehen.
Entsetzt verfolgten die beiden Frauen Talons Angriff. Sie lernten eine Seite in dem Mann kennen, die sie mit Furcht erfüllte – mit der Furcht vor einem wilden Tier. Keiner der Wächter hatte gegen den lautlosen Angriff eine Chance. Sie fielen, noch bevor sie wirklich merkten, was geschehen war.
Sofort setzte Talon nach und hastete die Gänge entlang, erfüllt von den Gedanken an einen gewaltigen schwarzen Schatten.
N’gra blieb ständig in Bewegung und vermied es, seinem Gegner die Flanke zu präsentieren. Shion wartete jedoch nur gelassen ab, bis sein Kontrahent unruhig wurde. Eine tiefe Müdigkeit erfüllte ihn bei jedem neuen Kampf. Es war zu viel Zeit verstrichen, seit das Ritual begonnen hatte, vor so vielen Äonen. Als er gezwungen wurde, das Leben, das er selbst gelebt hatte, hinter sich zu lassen. Eine Macht zu verkörpern, die er selbst nie verstanden hatte, die ihn erfüllte, beseelte.
Shion wartete auf den Tag, an dem er sein Ziel erreichen konnte.
Wie ein Besessener suchte sich Talon seinen Weg. Er fühlte etwas, das ihn vorwärts trieb. Hin zu seinem Ziel. Einem Ziel, das er selbst nicht kannte. Vorsichtig schlich er durch die engen Gänge und kam so aus den Katakomben, in die sie gesperrt worden waren, zurück in die oberen Teile der Gebäude.
Vor ihm saß eine Wache auf einem Mauerrest und lehnte sich gegen die brüchige Wand, den Speer auf den Beinen ruhend. Talon schob sich an der Wand entlang langsam vorwärts, bis er nahe genug an dem Farbigen war, um ihn zu überwältigen. Zufällig nur fiel sein Blick auf den Gurt, den die Wache umgeschnallt hatte. Doch er erkannte das Messer sofort, dessen Griff sich dunkel von der Haut abhob.
Seine Finger tasteten vorwärts. Behutsam ging er in die Knie und beugte sich leicht nach vorne. Er unterschätzte jedoch die Aufmerksamkeit von Shions Wächtern. Die leiseste Bewegung an seiner Seite ließ den Mann herumfahren.
Erkennen und Reagieren erfolgte in einer fließenden Bewegung. In dem Moment, in dem Talon das Messer an sich riss, war die Wache aufgesprungen und hielt den Speer in beiden Händen.
„Sieben Höllen!“, entfuhr es dem großgewachsenen Mann mit bronzefarbener Haut. Keiner der Männer, die den Tempel bewachten, passte zu den Menschen, die diese Gegend bevölkerten. Es war, als seien sie wie die Ruinen ein Relikt aus einer lange vergangenen Zeit.
Talon verschwendete an diese Überlegungen keinen Gedanken. Er wich dem breiten Speerblatt aus und zog sich in den Schutz eines Mauervorsprungs zurück.
Shion ließ seinen Gegner näher kommen und sah, wie der alte Löwe seinen Angriff einleitete. Dann warf er sich dem mächtigen Führer des alteingesessenen Rudels mit aller Vehemenz entgegen.
Seine dunklen Zähne gruben sich tief in die rechte Schulter der Raubkatze, die mitten in ihrem Sprung zurückgeworfen wurde. Hilflos versuchte sie, mit einem Prankenhieb zu reagieren. Die Krallen glitten durch die zähe schwarze Masse von Shions Leib, als hieben sie in die Dunkelheit einer sternenlosen Nacht.
N’gra schrie wütend auf. Die Wunde an seiner Schulter blutete heftig und jagte Wellen von Schmerzen durch seinen gepeinigten Leib. Shion setzte nach. Ein Hieb mit dem Kopf schnitt blutige Striemen in das raue Fell. Der alte Löwe taumelte und fiel.
Talon warf sich dem Wächter entgegen und schlug den mannshohen Speer mit einer Handbewegung beiseite. Die schmale Klinge seines Messers fuhr in die ungeschützte Brust des Farbigen.
Der Mann taumelte. Ungläubiges Staunen spiegelte sich in seinen Augen wider. Er sah den Weißen, der einen Schritt zurücktrat und den blutverschmierten Händen auswich, die nach ihm griffen. Rote Schlieren tanzten vor seinen Augen, als er in die Knie ging. Der Boden schwankte unter seinen Füßen.
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