talon014
Der Angriff hatte ihn mehr Kraft gekostet, als er sich eingestehen wollte.
Heute Nacht , brannte der Gedanke voller Feuer in seinem Bewusstsein.
Heute Nacht …
Gedankenverloren nahm Talon an diesem Vormittag einen Schluck lauwarmen Wassers aus einer Kalebasse und stellte sie neben sich ab. Er griff nach einer gedünsteten Okraschote, die in einer flachen Tonschale lag, und brach sich etwas Brot ab.
Noch vor Tagesanbruch waren mehrere der Männer losgezogen und hatten die umliegenden Dörfer besucht. Sinn der Expedition war es, um Essen und Trinken zu bitten, denn Talon war nicht bereit, die Deckung aufzugeben und sich vielleicht auf der Suche nach Nahrung zu verraten.
Doch noch mehr interessierte ihn, wie sich die Kräfte auswirkten, die Eser Kru freigesetzt hatte. Viele der Ortschaften waren offenkundig durch die Angriffe der untoten Kreaturen gezeichnet. Manche waren von den wenigen Überlebenden aufgegeben worden. Viel mehr noch als diese Attacken hatte Eser Krus Eingriff in die Zeit das Bild verändert, das sich den Männern geboten hatte. Kaum etwas hatte sich wirklich verändert, dennoch hatte der Erkundungstrupp keine neueren technischen Geräte mehr entdecken können.
Es wirkte wie ein nicht zu Ende geträumter Traum, in dem sich die Menschen bewegten wie in einem Halbschlaf, aus dem sie nicht völlig erwachten. Viele von ihnen empfingen die Männer mit einem Respekt, den diese seit Jahrhunderten nicht mehr erfahren hatten. Als sei die Vergangenheit in einer Art und Weise wieder lebendig geworden, die sich viel mehr in den Menschen selbst manifestierte, als in der Umwelt.
Talon war sich nicht sicher, welche Konsequenzen all das haben würde, was Eser Kru verursacht hatte. Noch weniger wusste er, ob es sich wieder umkehren ließ.
Lustlos schluckte er den letzten Rest Essen herunter und spülte mit etwas Wasser nach, dann erhob er sich mürrisch. Während er sich so vorkam, als warte er darauf, dass andere für ihn die Entscheidungen trafen, pflegten die meisten der Männer ihre Waffen und polierten das Metall der Klingen, während sich andere in Form hielten.
Er ging zu N’kele herüber, der im Schatten eines hohen Felsens saß und seine Männer beobachtete. Ohne den Farbigen zu grüßen, ließ er sich neben ihm auf dem staubigen Boden nieder. Der Anführer von Shions Garde schien den Ankömmling nicht weiter zu beachten und gab seinen Männern immer wieder Befehle. Minuten vergingen, in denen sich Talons Blick im Nichts verlor. Shion selbst war verschwunden. Als habe er sich mit dem Licht des anbrechenden Tages aufgelöst wie ein Schatten.
„N’kele“, beendete er die Stille, „ich möchte wissen, was damals geschah.“
Talons Gestik zeigte dessen eigene Unschlüssigkeit. „Du, Shion, Eser Kru. Ihr kommt alle aus der gleichen Vergangenheit. Ihr seid“, er lachte kehlig auf, „offenbar Jahrtausende alt und kennt eine Welt, die selbst in den Sagen vergessen wurde. Was ist damals geschehen? Woher kommt Shion?“
Der Hüne sah ihn mit einem undeutbaren Blick an, bevor er endlich zu erzählen begann.
„Das, was ich dir jetzt erzähle, kenne selbst ich nur aus Legenden. Ich wurde erst viel später in den Tempel gerufen. Nun gut. Damals war diese Gegend hier kultiviert, mit Kanälen durchzogen, die das Wasser vom weit entfernten Kongo – das ist der Name, unter dem du den Fluss kennst, richtig? – umleiteten. Erst im Lauf der Zeit drang der Dschungel immer weiter vor, als alles zerfiel. Entlang dieses Weges führte die Straße, deren Ruinen du heute noch siehst, weit nach Norden. Ich war nie dort. Ich weiß nicht, wo sie endet. Diese Straße säumten ganze Städte, alle unter der Herrschaft einer Priesterschaft, die von einer Familie geleitet wurde – der, aus der auch Eser Kru entstammt. Man sagt, sie hatten die Macht, selbst die Götter und die Geister zu befehligen. Und sie knechteten die umliegenden Stämme und Reiche, bis ihnen jeder gefügig war.
Dieser Herrschaft stellte sich eines Tages Shion entgegen. Er soll aus den Tiefen des Tempels selbst gekommen sein, als Warnung der Götter an Eser Krus Familie, diese Macht nicht länger zu missbrauchen. Es kam zum Kampf zwischen Shion und den Priestern, der sich schnell zu einem Bürgerkrieg ausweitete. Damals wurden viele der Reiche zerstört, von denen heute nicht einmal mehr Ruinen zeugen. Shion besiegte die Priester, und aus den führenden Köpfen der Revolte formte er seine Garde, die für ihn die Ordnung im Land
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