talon015
Weißen zu kümmern.
Diese Worte verstand auch Talon, der diese Sprache lange nicht mehr gehört hatte. Seine Hand tastete nach hinten und zog ein altertümlich anmutendes Messer aus der Schlaufe, die seinen Lendenschurz hielt. Matt schimmerte die Klinge, deren Oberfläche mit einem feinen Muster verziert war, in der hoch stehenden Sonne auf.
Nachdem die beiden Schwarzen ihre Überraschung überwunden hatten, verständigten sie sich mit kurzen Rufen. Die Jahre der Erfahrung bei der Jagd nach Tieren ließ sie Hunderte Male eingeübte Handgriffe und Aktionen mit einer Gekonntheit durchführen, die keinen Unterschied dabei machte, ob es sich bei der Beute um ein Tier oder einen Menschen handelte.
Talon musste mehrmals die lange Stange abwehren, die immer wieder seine Deckung durchbrach und sich schmerzhaft in seinen Körper bohrte. Der Angreifer konnte dabei außer Reichweite von Talons eigenen Attacken bleiben und umging den Weißen wie ein Tier, das er in die Enge getrieben hatte.
Von einer Wildheit erfüllt, die ihn lange nicht mehr durchströmt hatte, setzte Talon nach und ließ dabei für einen Augenblick das Netz außer Acht. Erst als er das Rascheln der feinen Schnüre hörte, wandte er sich um und hob schützend den Arm an. Das Maschengespinst glitt von der Haut ab und wurde sofort von dem zweiten Mann zurückgezogen, doch Talon packte das Netz mit der Linken und riss den Farbigen mit aller Kraft zu sich her. Durch die Wucht des Angriffs kam der Mann ins Straucheln und stolperte zu Boden. Ein erschrockener Schrei löste sich von seinen Lippen.
Er blickte hoch und sah den Schatten des Mannes, der den Arm mit dem Messer emporhob. Doch noch bevor die Waffe herabstoßen konnte, wurde der Kopf des Mannes zur Seite geschleudert. Wie in Zeitlupe löste sich das Messer aus der Hand und fiel zu Boden. Nur einen Herzschlag später sackte auch Talons Körper zur Erde.
Grinsend stellte sich der Mann mit der Stange vor seinem Partner auf und reichte diesem die Hand, während er den schweren Metallstab in den Boden rammte. Dennoch stupste er dem Weißen, den er mit der Stange niedergeschlagen hatte, vorsichtig in die Seite und vergewisserte sich, dass dieser außer Gefecht gesetzt war.
Alice Struuten schrak zusammen. Klirrend setzte die Tasse auf dem Unterteller auf, während der Kaffee in einer breiten Bahn über den Rand schwappte.
„Heyhey, ist schon gut! War nur’n Auspuff.“ Eine schlanke Hand legte sich beruhigend auf ihren Unterarm. Besorgt beugte sich eine Frau mit leicht gewellten, tiefschwarzen Haaren vor, die bis zur Taille reichten. Giulia Mendes blickte ihrer Freundin forschend in die Augen. Sie hatte sich zusammen mit Alice verabredet, um mit der jungen Frau einen Stadtbummel zu machen, damit die Fotografin endlich wieder auf andere Gedanken kam.
Im Augenblick saßen sie in einem Straßencafé am Greenmarket Square und wollten den anbrechenden Frühling in Kapstadt genießen. Doch Alice benötigte mehrere Minuten, bis sich das unwillkürliche Zittern in ihrem Körper wieder gelegt hatte. Ein hilflos wirkendes Lächeln löste sich verkrampft von ihren Lippen, das ihre Freundin zufrieden stellen sollte. Diese ließ sich damit jedoch nicht abspeisen.
„Komm“, forderte Giulia Mendes sie auf und legte die passende Anzahl von Rand auf den Tisch. „Ich bring’ dich jetzt nach hause. So hat das ja keinen Sinn!“
„Tut mir leid“, brachte Alice hervor. Sie schüttelte ihre schulterlangen, gewellten dunkelblonden Haare und hielt den Kopf gesenkt. „Ich weiß nicht, was mit mir los ist“, wollte sie sich entschuldigen, während sie ihre Einkaufstüten packte.
„Was mit dir los ist? Du bist überfallen und fast getötet worden. Das ist passiert!“, klärte Giulia ihre Freundin auf. Die aus Brasilien eingewanderte Journalistin winkte ein Taxi herbei. Als der Wagen hielt, schob sie ihre Freundin auf den Rücksitz und setzte sich neben sie, dann nannte sie dem Fahrer eine Adresse im Westen, in der Nähe der gewaltigen Dockanlagen des Hafens.
„Das war vor über einem Monat, Gilli“, begehrte Alice auf. „Ich sollte da langsam drüber hinweg sein.“
„Klar“, warf die Frau mit der dunkel getönten Haut ein. „Deshalb bist du ja auch ausgezogen und hast dir ein Quartier am anderen Ende der Stadt genommen –“ Der Wagen musste wegen eines anderen, der plötzlich die Spur wechselte, heftig bremsen. Die Brasilianerin fluchte gründlich und schnauzte den schwarzen Fahrer an, sie gefälligst
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