Tangenten
drinzulassen, damit die Chips mit den Zellen interagieren konnten. Sie waren heuristisch programmiert; sie brachten sich selbst mehr bei, als ich ihnen einprogrammiert hatte. Die Zellen fütterten die Computer mit chemisch codierten Informationen, die Computer verarbeiteten sie und trafen Entscheidungen, die Zellen wurden klug. Ich meine, zunächst mal so klug wie Planarien. Stell dir ein E. coli- Bakterium vor, das so klug wie ein Süßwasser-Plattwurm ist!«
Ich nickte. »Stell ich mir gerade vor.«
»Dann hab ich wirklich auf eigene Faust weitergemacht. Wir hatten die Ausrüstung und die Techniken, und ich kannte die Molekularsprache. Ich konnte wirklich dichte, richtig komplizierte Biochips herstellen, indem ich die Nukleoproteine neue Verbindungen eingehen und zu kleinen Gehirnen werden ließ. Ich stellte einige Forschungen an, wie weit ich theoretisch gehen konnte. Wenn ich bei Bakterien blieb, konnte ich einen Biochip mit der Rechenkapazität eines Spatzenhirns herstellen. Stell dir vor, wie angetörnt ich war! Dann sah ich einen Weg, die Komplexität um das Tausendfache zu steigern, indem ich etwas benutzte, was wir eigentlich als Ärgernis betrachteten: Die Quanteneffekte zwischen den festen Elementen des Schaltkreises. Die Dinger sind so klein, daß schon die geringste Veränderung einen Biochip unbrauchbar machen könnte. Aber ich entwickelte ein Programm, das das Tunneln von Elektronen (* Je kleiner die Komponenten integrierter Schaltkreise werden, um so störender wirken sich die Quanteneffekte aus, bei denen subatomare Teilchen (z.B. Elektronen) Welleneigenschaften zeigen und durch unpassierbar scheinende Energiebarrieren dringen (›tunneln‹) können. - Anm. d. Übers.) vorhersagte und es sich zunutze machte. Ich verstärkte die heuristischen Aspekte des Computers und benutzte die Quanteneffekte als eine Methode, die Komplexität zu steigern.«
»Da komm’ ich nicht mehr mit«, sagte ich.
»Ich nutzte die Beliebigkeit aus. Die Schaltkreise konnten sich selbst reparieren, konnten ihre Speicher vergleichen und fehlerhafte Elemente ausbessern. Den ganzen Kram. Ich gab ihnen grundlegende Befehle: Gehet hin und mehret euch. Vervollkommnet euch. Bei Gott, du hättest einige der Kulturen eine Woche später sehen sollen! Es war erstaunlich. Sie entwickelten sich ganz von selbst, wie kleine Städte. Ich vernichtete sie alle. Ich glaube, eine der Petrischalen hätte noch Beine bekommen und wäre aus dem Inkubator heraus spaziert, wenn ich sie weiter ernährt hätte.«
»Du machst Witze.« Ich sah ihn an. »Du machst also keine Witze.«
»Mann, sie wußten, was es bedeutete, sich zu vervollkommnen! Sie kannten ihr Ziel, aber in ihren Bakterienkörpern und mit so wenig Ressourcen waren sie einfach zu beschränkt.«
»Wie klug waren sie?«
»Das konnte ich nicht mit Sicherheit sagen. Sie hatten Haufen von ein- bis zweihundert Zellen gebildet, und jeder Haufen verhielt sich wie eine autonome Einheit. Kann sein, daß jeder Haufen so klug wie ein Rhesusaffe war. Sie tauschten durch ihre Härchen Informationen aus, gaben Gedächtniselemente weiter und verglichen Merkmale. Sie waren offensichtlich anders organisiert als eine Affenherde. Das lag zum Beispiel schon daran, daß ihre Welt so viel einfacher war. Mit ihren Fähigkeiten waren sie die Herren der Petrischalen. Ich gab Phagen (* Viren, die Bakterien befallen. – Anm. d. Übers.) zu ihnen hinein; die hatten keine Chance. Die Zellhaufen nützten jede vorhandene Möglichkeit, sich zu verändern und zu wachsen.«
»Wie ist das möglich?«
»Was?« Es schien ihn zu überraschen, daß ich nicht alles sofort für bare Münze nahm.
»So viel in so wenig hineinzustopfen. Ein Rhesusaffe ist keine simple kleine Rechenmaschine, Vergil.«
»Ich hab mich nicht klar ausgedrückt«, sagte er offenkundig irritiert. »Ich arbeitete mit Nukleoprotein-Computern. Sie ähneln der DNA, aber alle Informationen können sich gegenseitig beeinflussen. Weißt du, wie viele Nukleotidenpaare die DNA einer einzigen Bakterie enthält?«
Meine letzte Biochemievorlesung lag lange zurück. Ich schüttelte den Kopf.
»Ungefähr zwei Millionen. Rechne noch die modifizierten Ribosomstrukturen dazu – fünfzehntausend Stück, jede mit einem Molekulargewicht von etwa drei Millionen – und denk an die Kombinationen und Permutationen. Die RNA ist wie ein unendlich langes, verdrehtes Papierband geformt, umgeben von Ribosomen, die Instruktionen ausgeben und Proteinketten erzeugen…«
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