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Tangenten

Tangenten

Titel: Tangenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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hatten das dicke Geld im Hintergrund, und was in ihren Labors stand, war in meinen Augen der Wunschtraum jedes Biochemikers. Sie stellten mich ein, und ich kam rasch vorwärts.
    Nach vier Monaten arbeitete ich schon an meinen eigenen Projekten. Mir gelangen ein paar Durchbrüche«, er warf nonchalant die Hand in die Luft, »dann bewegte ich mich auf einmal in eine Richtung, die sie für verfrüht hielten. Ich blieb stur, und sie nahmen mir das Labor weg und übergaben es so einem schwachsinnigen Kriecher. Ich schaffte es, einen Teil des Experiments zu retten, bevor sie mich feuerten. Aber ich war nicht gerade vorsichtig… oder vernünftig. Also geht es jetzt außerhalb des Labors weiter.«
    Ich hatte Vergil immer für ehrgeizig und ein bißchen verrückt, aber nicht für sonderlich sensibel gehalten. Seine Beziehungen zu Autoritätsfiguren waren nie reibungslos gewesen. Die Wissenschaft war für ihn wie die Frau, an die man eigentlich nicht herankommt, die dann jedoch auf einmal mit offenen Armen vor einem steht, lange bevor man für die Liebe reif ist – und man hat Angst, daß man sich seine Chancen ein für allemal versaut, statt des großen Loses eine Niete zieht und das Ganze total vermasselt. Anscheinend hatte er genau das getan. »Außerhalb des Labors? Ich versteh dich nicht.«
    »Ich möchte, daß du mich untersuchst, Edward. Und zwar gründlich. Vielleicht auf Krebs. Dann erkläre ich dir mehr.«
    »Du willst eine Fünftausend-Dollar-Untersuchung?«
    »Alles, was du machen kannst. Ultraschall, Kernspintomographie, Thermogramm, alles.«
    »Ich weiß nicht, ob ich an die ganzen Apparate dafür herankomme. Das Kernspintomographiegerät haben wir erst seit ein oder zwei Monaten hier. Zum Teufel, du hättest dir keine teurere Methode aussuchen können…«
    »Dann Ultraschall. Das ist alles, was du brauchen wirst.«
    »Vergil, ich bin Geburtshelfer, kein Glamourboy von einem Labortechniker. Geburtshelfer auf der Gynäkologischen, die Zielscheibe aller Witze. Wenn du dich in eine Frau verwandelst, kann ich dir vielleicht helfen.«
    Er beugte sich vor, wobei er fast den Ellbogen in den Kuchen gestemmt hätte, schwenkte den Arm jedoch im letzten Moment weit nach außen und kam millimeterknapp daran vorbei. Der alte Vergil hätte mitten ins Schwarze getroffen. »Wenn du mich genau untersuchst, wirst du…« Seine Augen wurden schmal, und er schüttelte den Kopf. »Untersuch mich einfach.«
    »Dann mach ich einen Termin beim Ultraschall fest. Wer wird bezahlen?«
    »Ich bin beim Blue Shield.« Er lächelte und hielt eine medizinische Kreditkarte hoch. »Ich hab an den Personalakten bei Genetron rumgedoktert. Sie werden keine Arztrechnungen unter hunderttausend Dollar überprüfen, und sie werden auch keinen Verdacht schöpfen.«
     
    Er wollte, daß es geheim blieb, also arrangierte ich alles. Ich füllte seine Formulare selbst aus. Solange alles ordnungsgemäß verbucht wurde, konnte die Untersuchung im großen und ganzen stattfinden, ohne daß es offiziell bekannt wurde. Ich berechnete nichts für meine Dienste. Immerhin hatte Vergil meine Pisse blau gefärbt. Wir waren Freunde.
    Er kam am späten Abend. Ich war um diese Zeit normalerweise nicht mehr im Dienst, aber ich blieb da und erwartete ihn im dritten Stock des Frankensteinflügels, wie ihn die Schwestern nannten. Ich saß auf einem orangeroten Plastikstuhl. Er kam herein. Im fluoreszierenden Licht sah er olivbraun aus.
    Er zog sich aus, und ich sorgte dafür, daß er sich richtig auf den Tisch legte. Als erstes bemerkte ich, daß seine Knöchel dick aussahen. Aber das Fleisch war nicht geschwollen. Ich tastete sie mehrmals ab. Sie schienen gesund zu sein, sahen jedoch seltsam aus. »Hm«, sagte ich.
    Ich fuhr mit dem Scanner über ihn hin, suchte die Stellen heraus, die das große Gerät nur schwer erreichte, und programmierte die Daten ins Bildgebersystem. Dann schwenkte ich den Tisch herum und schob ihn in die emaillierte Öffnung des Ultraschall-Diagnosegeräts, das Summloch, wie es die Schwestern nannten.
    Ich faßte die Daten aus dem Summloch mit denen der Abtaster zusammen und rollte Vergil heraus. Dann schaltete ich ein Videogerät ein. Es dauerte eine Sekunde, bis sich das Bild aufgebaut hatte, dann floß es zu einem Muster zusammen, das Vergils Skelett zeigte.
    Das Bild blieb drei Sekunden lang stehen, während mir das Kinn herunterfiel, dann wechselte es zu seinen thorakalen Organen, dann zu seiner Muskulatur und schließlich zu seinem

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