Tante Dimity und der Fremde im Schnee
exzentrischste Mitglied der Familie Willis. »Was hat er an?«
»Sieh selbst.« Gerald trat beiseite und führte mich ins Wohnzimmer, das ebenso überfüllt war wie das Speisezimmer, aber Onkel Williston fiel in der größten Menge auf. Er hatte es sich in Bills Lieblingssessel gemütlich gemacht und trug einen prächtigen Frack aus grünem Brokatsamt, grüne Reithosen aus Satin, weiße Strümpfe und vorne rechteckig zulaufende Schuhe mit einer goldenen Schnalle. Auf einem Fußbänkchen neben ihm saß Nell Harris, Bertie auf den Knien, der Onkel Willistons mit Spitzen besetzte Hemdbrust gebührend bewunderte.
An einer Seite des Kamins stand Luke Boswell, die Daumen unter den neonroten Hosenträgern, Stan Finderman stand auf der anderen Seite. Er machte sich über ein Glas Punsch her und war schon ganz rot im Gesicht und hatte kein Problem damit, sich in dem allgemeinen Lärm Gehör zu verschaffen. Natürlich unterhielten sich die beiden über rare Bücher.
Überall sah ich vertraute Gesichter: Theodore und Lilian Bunting, Chris und Dick Peacock, Peggy Kitchen und Jasper Taxman, George Wetherhead und Able Farnham, Mr Barlow und Miranda Morrow, die Hodges und die Pyms.
Alle plauderten, lachten, aßen und tranken Punsch.
Ein Gesicht konnte ich jedoch nicht sehen, das des Mannes im Weihnachtsmannkostüm, der gerade vor dem schiefen Weihnachtsbaum kniete und wunderschön verpackte Pakete mit Geschenken arrangierte. Handelte es sich um Tante Antheas Mann?, fragte ich mich mit einem Blick auf die breiten Schultern, oder hatte Willis senior einen professionellen Weihnachtsmann als Ersatz für Bill engagiert? Während ich auf ihn zuging, tauschte ich mit jedermann und jederfrau Grüße aus, bis ich schließlich hinter ihm stand.
»Fröhliche Weihnachten«, sagte ich freundlich.
»Ho, ho, ho«, entgegnete er, und bevor ich die Stimme erkannte, wirbelte der fröhliche Santa Claus herum, riss sich den Bart ab und drückte mir einen Kuss auf die Lippen, von dem mir ganz schwindelig wurde. Die Umstehenden wurden auf uns aufmerksam und belohnten die sportliche Leistung schließlich mit begeistertem Applaus.
»Bill«, hauchte ich, als mich der Weihnachtsmann endlich losließ. »Ich dachte, du seiest in Island.«
»Santa hat mir eine Mitfahrgelegenheit angeboten«, sagte er.
»Gott segne Rudolph«, murmelte ich und zog meinen Mann dicht an mich, um einen weiteren Mistelzweig-Moment zu genießen. Abwesenheit macht nicht nur das Herz geneigter. Ich spürte, wie sich meine Zehen zusammenzogen, als Bill jede einzelne Faser meines von Gott gegebenen Appetits entfachte.
Leider war jetzt nicht die Zeit dafür. Lilian Bunting hatte schon die ganze Zeit besorgt beobachtet, wie regelmäßig die Mitglieder ihres Ensembles den Weg zur Punsch-Schüssel fanden, und drängte ihre Schäfchen zum Aufbruch. In einer Stunde sollte das Krippenspiel im Schulhaus stattfinden.
Willis senior ließ sich von Nell im Schlitten mitnehmen, und als Bill und ich in der Tür standen und ihnen nachwinkten, fiel mir etwas ein. »Ich habe noch ein Weihnachtsgeschenk vergessen.«
Bill hüllte mich in seinen roten Umhang ein.
»Ich habe schon alles, was ich will.«
Ich schmiegte mich an ihn, spürte die vertraute Wärme seines Körpers und beschloss, ihm nicht zu erzählen, dass das Geschenk, an das ich dachte, nicht für ihn bestimmt war. »Ich habe dich so vermisst«, murmelte ich.
»Nicht halb so viel, wie ich dich vermisst habe.« Er küsste mich aufs Haar. »Vater hat mir erzählt, warum du nach London gefahren bist.
Hast du die Antworten gefunden, die du gesucht hast?«
»Ich habe Antworten gefunden, nach denen ich nicht gesucht habe.« Ich hob den Kopf und warf einen Blick zu den Fliederbüschen, der Stelle, wo ich Kit Smith zum ersten Mal gesehen hatte. »Nachher erzähle ich dir alles. Aber jetzt haben wir eine Aufgabe.«
»Welche denn?«, fragte Bill.
»Nun, Lilian hat die Schauspieler und die Techniker zusammengebracht«, sagte ich. »Jetzt ist es an uns, das Publikum zu geben.«
22
FINCH LEUCHTETE AN diesem Abend noch heller als mein Cottage. In jedem Fenster brannten elektrische Kerzen, und Lichterketten säumten jedes Dach, hangelten sich von Baum zu Baum um den Dorfplatz herum und schmückten die Ginsterbüsche, die das Kriegsdenkmal umringten. Auf der Saint George’s Lane parkten die Wagen dicht aneinander, und fröhliche Zecher wanderten vom Pub zur Tür des Schulgebäudes, wo Emma stand, Tickets verkaufte und Programme
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