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Tante Dimity und der unheimliche Sturm

Tante Dimity und der unheimliche Sturm

Titel: Tante Dimity und der unheimliche Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Atherton
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»Daher habe ich Mr Macrae gesehen, als er dort herumkroch.«
    Jamie, der mit Wendy noch immer an der Spü le stand, drehte sich um, als er seinen Namen hörte. »In knietiefem Schnee ist es schwer, sich anders als kriechend fortzubewegen.«

    Catchpole wedelte mit einem Holzlöffel in seine Richtung. »Sie haben mir einen gehörigen Schrecken eingejagt, junger Mann. Ich dachte, Sie seien ein DeClerke, der aus seinem Grab aufgestanden ist. Miss DeClerke wird sich in ihrem Grab umdrehen, wenn sie erfährt, dass drei Yankees ihre Abtei mit Beschlag belegt haben. Würde mich nicht wundern, wenn sie heute Nacht zu Ihnen käme und Ihnen an die Gurgel wollte.«
    Unwillkürlich wanderte meine Hand an die Kehle.
    »Wie können Sie nur so etwas Schauderhaftes sagen«, meldete Wendy sich zu Wort. »Und das, während wir noch nicht einmal mit dem Essen fertig sind.«
    »Sie reden Unsinn, Catchpole.« Jamie stellte sich neben meinen Stuhl. »Sie glauben doch nicht etwa an Geister, oder?«
    Catchpole ließ den Löffel sinken und erwiderte Jamies Blick.
    »Ich glaube an Hass«, sagte er. »Und wenn der Hass stark genug ist, die Seele eines Verstorbenen aus dem Grab aufsteigen zu lassen, dann sollten Sie sich heute Nacht besser vor Miss DeClerke in Acht nehmen. Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich beim Schlafen ein Auge offenhalten.«

    Einen Moment lang war das einzige Geräusch, das in der Küche zu hören war, das Plop des vor sich hin köchelnden Risotto. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Jamie unsicher Wendy ansah, die wie gelähmt am Spülbecken stand, einen Teller in der Hand, und den Verwalter anstarrte.
    Dass beide nichts erwiderten, erstaunte mich.
    Statt Catchpole einen abergläubischen Narren zu schimpfen, schienen sie ihn ernst zu nehmen.
    Im Gegensatz zu mir. Ich nahm an, dass der alte Griesgram uns wieder Angst einjagen wollte, und weigerte mich, ihm den Gefallen zu tun.
    »Vielen Dank, Catchpole«, sagte ich mit einer Stimme, die meinen Abscheu zum Ausdruck brachte. »Der Schneesturm und die Flinte waren also noch nicht genug? Jetzt müssen Sie auch noch einen mit einem Messer bewaffneten Geist erfinden, um auf Ihre Kosten zu kommen? Wenn mein Mann davon erfährt …«
    »Ich habe nur Spaß gemacht, Madam«, beeilte Catchpole sich zu sagen. Er brachte ein nervöses Grinsen zustande. »Es gibt Leute, die eine gute Gruselgeschichte schätzen.«
    Wendy seufzte erleichtert auf. »Ich glaube, wir hatten genug Spannung für heute.«
    »Mehr als genug.« Jamies vom Wind gerötetes Gesicht war blass geworden.

    »Wir brauchen in der Tat keine Spannung mehr«, sagte ich bestimmt. »Also behalten Sie Ihre Spukgeschichten für sich, bitte. Auch wenn
    …« – ich warf einen misstrauischen Blick zu den beiden anderen – »… ich gern mehr über Miss DeClerke erfahren würde – die richtige Miss DeClerke, nicht ihren angeblichen Geist. Sie scheint eine bemerkenswerte Frau gewesen zu sein. Warum hat sie die Amerikaner nur so sehr gehasst?«
    »Weil sie nett zu ihnen war, Madam«, erwiderte Catchpole. »Sie war nett zu ihnen, und zum Dank wurde sie von ihnen betrogen.«

5
    DIE HUMMERCREMESUPPE WAR köstlich,  das Risotto großartig, aber der eigentliche Hö hepunkt des Mahls war die Geschichte, die es dazu gab. Als das Essen zur Neige ging und die Abenddämmerung sich herabsenkte, setzte sich Catchpole zu uns an den Tisch und erzählte uns, was er über die geheimnisvolle, rachsüchtige Miss DeClerke wusste. Er sprach mit einer solchen Inbrunst und so lange, dass ich beinahe Mitleid für ihn empfand. Als Verwalter eines abgelegenen Landsitzes hatte er vermutlich nicht allzu oft Gelegenheit, unter Menschen zu kommen. Seine Geschwätzigkeit schien eine Begleiterscheinung seiner Einsamkeit zu sein.
    »Zunächst müssen Sie wissen, dass ich nicht mein ganzes Leben in der Abtei verbracht habe, auch wenn ich Ihnen eingangs etwas anderes erzählt habe«, begann er. »Als mein Vater einberufen wurde, zog meine Mutter mit mir zu ihren Verwandten in Shropshire. Das war im September 1940. Erst sechsundvierzig kamen wir zurück, deshalb habe ich einiges von dem, was ich Ihnen erzähle, nur aus zweiter Hand erfahren, nachdem alles zerstört worden war.« Er machte eine Pause. »Das war während des Krieges«, fuhr er fort. »Miss DeClerke war erst siebzehn, als er begann, und mit dem Sohn eines Viscount verlobt. Ihr Vater war überglücklich über diese Verbindung. Seine Frau war einige Jahre zuvor gestorben und Miss DeClerke sein

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