Tante Dimity und der unheimliche Sturm
erzählen.«
»Sind Sie sicher, dass Sie das wollen?«, fragte Jamie.
»Ganz sicher.« Ich sah ihn fragend an. »Sie nicht?«
»Doch, natürlich.« Jamie richtete sich auf und blickte mich eindringlich an. »Sofern es Sie nicht allzu sehr aufregt.«
Ich war versucht, meinen ritterlichen Beschützer daran zu erinnern, dass er blass geworden war, als Catchpole Miss DeClerkes unseligen Geist erwähnt hatte, während ich nicht mit der Wimper gezuckt hatte, und wenn jemand beruhigt werden musste, dann war er es. Aber ich war so berührt von seiner Freundlichkeit, dass ich ihn nur lächelnd ansah.
»Um mich müssen Sie sich keine Sorgen machen«, sagte ich. »Ich bin zäh wie altes Schuhleder. Das muss ich sein, ich habe nämlich zwei abenteuerlustige Söhne, die letztes Jahr Flintengeschosse gefunden haben.«
Jamie lachte und wollte gerade etwas erwidern, als Wendy und Catchpole mit vier großen altmodischen Petroleumlampen vom Flur hereinkamen. Die ordentlich zugeschnittenen Dochte brannten regelmäßig unter den Glasschirmen und warfen einen goldenen Glanz auf den alten Eichentisch und die Dessertschalen mit dem Aprikosenkompott. Doch über die Ecken und die gewölbte Balkendecke krochen dunkle Schatten.
Es tat gut, als ich mich von dem reifbedeckten Fenster abwandte und in den warmen Lichtkegel eintauchte.
Das überbackene Kompott hatte ebenfalls eine tröstliche Wirkung, warm und süß und mit genau dem richtigen Säuregrad. Mit Genuss löffelte ich meine Portion aus, während Catchpole mit seiner Geschichte dort fortfuhr, wo er aufgehört hatte.
»Das erste große Bombardement ging im September auf London nieder. Damals wurde mein Vater eingezogen. Er war weit in den Vierzigern, eigentlich zu alt, um noch in den Krieg zu ziehen, aber England erwartete von jedem Mann, seine Pflicht zu erfüllen, also ging auch er. Und Mutter und ich zogen nach Shropshire. Sie wollte nicht gehen, meine Mutter, aber nachdem sämtliche wehrfähigen Männer die Farm verlassen hatten, brauchte ihre Familie sie. Miss DeClerke zog es vor, in der Abtei zu bleiben. Und hier erreichte sie dann auch die Nachricht, dass ihr Vater ermordet worden war.«
»Ermordet?«, entfuhr es Wendy, deren Dessertlöffel mitten in der Bewegung in der Luft stehen blieb.
»Im Bombenhagel«, erklärte Catchpole. »Er war wegen einer unbedeutenden Angelegenheit nach London gefahren und wollte nur eine Nacht dort bleiben, aber er kam nie mehr zurück. Es war eine Vollmondnacht, wissen Sie, die Art von Nächten, die Hitlers Bombergeschwader am liebsten mochten. Das Londoner Haus wurde vollkommen zerstört, es brannte bis auf die Grundmauern nieder, sodass kein Stein auf dem anderen blieb. Das war im Oktober.«
»Das wusste ich nicht«, murmelte Jamie. »Die Bombenangriffe vom Oktober waren furchtbar, aber ich hatte keine Ahnung …« Er schüttelte den Kopf und ließ den Blick durch den Raum gleiten, so als betrachtete er seine Umgebung zum ersten Mal. »Ladythorne macht einen so friedvollen Eindruck, so weit entfernt von der restlichen Welt, und dennoch hat der Krieg sogar hier seine Spuren hinterlassen.«
»Der Krieg hat uns alle in Angst und Schrecken versetzt, auf die ein oder andere Weise«, sagte Catchpole. »Mein Vater ist Gott sei Dank unversehrt zurückgekehrt, aber zwei Onkel von mir und einige meiner Cousins sind im Krieg gefallen. Miss DeClerke hingegen hat jeden, den sie liebte, verloren – ihren Vater und ihren Verlobten. Sie hatte mehr Geld, als sie ausgeben konnte, aber was hat es ihr genützt? Sie hat alles verloren, was ihr wirklich etwas bedeutete.«
»Was hat sie dann gemacht?«, fragte ich.
»Hat sie die Abtei verlassen?«
»Das wäre zu erwarten gewesen, nicht wahr, Madam?«, erwiderte Catchpole. »Ein junges Mädchen allein in diesem großen, weitläufigen Haus, mit nur einer Handvoll Bediensteter, und die zu alt und töricht, um ihr tatsächlich Gesellschaft zu leisten. Man hätte meinen können, dass sie das Anwesen zusperrt und wegläuft, nicht wahr?«
Ich griff nach meiner Tasse Tee. »Das wäre auch nicht besonders verlockend gewesen.«
»Nein, für sie war es keineswegs verlockend.«
Catchpole pflanzte seine Ellbogen auf den Tisch und rang die Hände. »Miss DeClerke blieb an Ort und Stelle und versuchte das Beste aus der Situation zu machen. Dieses zarte Mädchen hat die Abtei in ein Erholungsheim verwandelt, wo Offiziere sich von ihren Kriegsleiden erholen konnten. Die Armee hat zwar für die nötige Einrichtung
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