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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Tanzenden und auch nicht in dem Teil des Gartens, den er durch das Fenster übersehen konnte.
    In diesem Augenblick geschah es. Der Vais »Idolo« war gerade zu Ende, die Paare blieben stehen, um zu applaudieren, die Musiker nahmen die Hände von den Gitarren, und der Rothaarige stellte sich dem zwanzigsten Zutrunk, als die Braut die rechte Hand an die Augen hob, als wolle sie eine Fliege verscheuchen, taumelte und zu Boden stürzte, bevor ihr Partner sie auffangen konnte. Ihr Vater und Dr. Quinteros rührten sich nicht, vielleicht glaubten sie, sie wäre ausgerutscht und würde im nächsten Augenblick lachend wieder aufstehen. Aber der Tumult, der im Salon entstand – Ausrufe, Gedränge, Schreie der Mutter: »Mein Töchterchen, Eliana, Elianita!« –, ließ auch sie hinzueilen, um ihr zu helfen. Der Rothaarige Antûnez hob sie auf seine Arme und trug sie, von einer Gruppe begleitet, hinter Frau Margarita die Treppe hinauf. »Hier, in ihr Zimmer, langsam, vorsichtig«, bat Frau Margarita, »ein Arzt, ruft doch einen Arzt.« Einige Familienmitglieder – Onkel Fernando, Cousine Chabuca, Don Marcelino – beruhigten die Freunde und befahlen der Kapelle weiterzuspielen. Dr. Quinteros sah, daß sein Bruder Roberto ihm vom oberen Ende der Treppe winkte. Zu dumm, war er nicht Arzt? Worauf wartete er noch? Er sprang zwischen den Menschen, die ihm Platz machten, die Stufen hinauf.
    Man hatte Elianita in ihr Schlafzimmer getragen, einen in Rosa gehaltenen Raum zum Garten. Um das Bett herum, auf dem das Mädchen lag und blinzelte, sie war inzwischen wieder bei Bewußtsein, aber immer noch sehr blaß, standen Roberto, der Rothaarige Antûnez und die Amme Venancia. Die Mutter saß an ihrer Seite und rieb ihr die Stirn mit einem in Alkohol getränkten Taschentuch. Der Rothaarige hatte ihre Hand ergriffen und sah sie mit einer Mischung aus Angst und Entzücken an.
    »Ihr geht jetzt erst einmal alle hinaus und laßt mich mit der Braut allein«, ordnete Dr. Quinteros an und übernahm seine Rolle. Während er sie zur Tür begleitete, sagte er: »Regt euch nicht auf, es kann gar nichts Schlimmes sein. Geht bitte hinaus, damit ich sie untersuchen kann.« Nur die alte Venancia weigerte sich, Margarita mußte sie beinahe hinauszerren. Dr. Quinteros trat wieder an das Bett und setzte sich neben Elianita, die ihn durch ihre langen, schwarzen Wimpern verstört und ängstlich ansah. Er küßte sie auf die Stirn, und während er ihre Temperatur maß, lächelte er ihr zu: es passiere nichts, es gebe keinen Grund, sich zu fürchten. Ihr Puls war etwas beschleunigt, und sie atmete wie erstickt. Der Arzt bemerkte, daß ihre Brust sehr eingeschnürt war, und half ihr, sich aufzuknöpfen.
    »Du mußt dich sowieso umziehen, auf diese Weise sparst du Zeit, meine Kleine.«
    Als er das stark geschnürte Korsett sah, begriff er sofort, was los war, machte aber nicht die leiseste Andeutung, stellte keine Fragen, die seiner Nichte zeigen könnten, daß er Bescheid wußte. Während sie sich das Kleid auszog, war Elianita feuerrot geworden, und jetzt war sie so verlegen, daß sie den Blick nicht heben oder die Lippen bewegen konnte. Dr. Quinteros sagte, sie brauche die Unterwäsche nicht auszuziehen, nur das Korsett, das die Atmung behindere. Dabei versicherte er ihr, es sei das Natürlichste der Welt, daß eine Braut am Hochzeitstag vor Erregung über die Ereignisse, aus Erschöpfung nach all den vorangegangenen Aufregungen und vor allem, wenn sie stundenlang ohne auszuruhen so verrückt herumtanzt, ohnmächtig werde. Mit gespielter Zerstreutheit untersuchte er ihre Brüste und ihren Leib – von der starken Umarmung des Korsetts befreit, war er geradezu vorgesprungen – und schloß mit der Sicherheit des Spezialisten, durch dessen Hände Tausende schwangerer Frauen gegangen waren, daß sie bereits im vierten Monat war. Er untersuchte ihre Pupillen, stellte einige dumme Fragen, um sie abzulenken, und riet ihr, ein paar Minuten auszuruhen, bevor sie in den Salon zurückkehre. Sie solle aber nicht mehr soviel tanzen.
    »Siehst du, es war nur Erschöpfung, mein Nichtchen. Ich gebe dir aber etwas, was die starken Eindrücke dieses Tages ein bißchen mildert.«
    Er strich ihr übers Haar, und um ihr Zeit zu geben, sich zu beruhigen, bevor ihre Eltern wieder hereinkamen, befragte er sie über die Hochzeitsreise. Sie antwortete mit trauriger Stimme. Solch eine Reise sei doch das Schönste, was einem Menschen vergönnt sei, er seinerseits habe bei all seiner

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