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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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vorzügliche Gelegenheit, die moralische Norm zu erproben, die er sich seit seiner Jugend gesetzt hatte und der entsprechend es besser sei, die Menschen zu verstehen als sie zu verurteilen. Er war weder erschrocken noch empört oder allzu überrascht, vielmehr entdeckte er eine verborgene Rührung, ein unüberwind liches Wohlwollen, eine Mischung aus Zärtlichkeit und Mitleid, als er sich sagte, nun sei es vollkommen klar, warum ein so wunderschönes Mädchen plötzlich beschlossen hatte, einen Dummkopf zu heiraten, und warum der König des Hawaiianischen Surfboards, der bestaussehende Junge der Gegend, niemals verliebt gewesen war und warum er immer ohne jeden Widerspruch mit so unverständlicher Zuvorkommenheit die Funktionen des Kavaliers seiner jüngeren Schwester übernommen hatte. Während er den Duft des Tabaks und das angenehme Feuer des Getränks genoß, sagte sich Dr. Quinteros, daß er sich um Richard keine allzu großen Sorgen machen müsse. Er würde schon einen Weg finden, Roberto dazu zu bringen, daß er ihn zum Studium ins Ausland schickte, nach London, zum Beispiel, in eine Stadt, in der er Neues und ausreichend Aufregendes finden würde, um die Vergangenheit zu vergessen. Was ihn jedoch beunruhigte und gleichzeitig seine Neugier reizte, war, was aus den beiden anderen Figuren der Geschichte werden würde. Während die Musik ihn einlullte, ging ihm ein Knäuel von Fragen ohne Antwort durch den Kopf, immer schwächer und in immer größeren Abständen: Würde der Rothaarige noch heute seine ruchlose Gattin verlassen? Würde er schweigen und einen unübertrefflichen Beweis seines Edelmutes oder seiner Dummheit ablegen und weiter mit diesem betrügerischen Mädchen zusammenleben, das er so heftig umworben hatte? Würde ein Skandal ausbrechen, oder würde ein schamhafter Schleier aus Vertuschung und unterdrücktem Stolz diese Tragödie von San Isidro für immer verbergen?
     

 
    III
     
    Wenige Tage nach dem Zwischenfall sah ich Pedro Camacho wieder. Es war morgens um halb acht, und ich wollte, nachdem ich die ersten Nachrichten vorbereitet hatte, im Bransa einen Milchkaffe trinken, als ich im Vorübergehen in der Portiersloge von Radio Central meine Remington erkannte. Ich hörte sie, den Ton ihrer schweren Tasten, die gegen die Walze schlugen, doch ich sah niemanden hinter der Maschine sitzen. Ich steckte den Kopf durch das Fenster und erkannte den Schreiber; es war Pedro Camacho. Man hatte ihm die Portiersloge als Büro eingerichtet. In dem kleinen Raum mit niedriger Decke und von Feuchtigkeit, Alter und Schmierereien zerfressenen Wänden stand jetzt ein uralter Schreibtisch von der gleichen Stattlichkeit wie die Schreibmaschine, die darauf donnerte. Die Ausmaße des Möbelstücks und der Remington verschluckten förmlich die kleine Gestalt von Pedro Camacho. Er hatte sich einige Kissen auf den Stuhl gelegt, doch selbst so reichte sein Gesicht nur bis zur Höhe der Tasten, so daß er mit den Händen in Augenhöhe schrieb und es so aussah, als boxte er. Seine Konzentration war total. Er bemerkte mich nicht, obwohl ich unmittelbar neben ihm stand. Seine hervorstehenden Augen waren fest auf das Papier gerichtet; er tippte mit zwei Fingern und biß sich auf die Zunge. Er trug den gleichen schwarzen Anzug wie am ersten Tag, hatte sich weder die Jacke ausgezogen noch die Schleife abgebunden, und als ich ihn so sah, entrückt und eifrig, mit seiner Frisur und Aufmachung eines Dichters des 19. Jahrhunderts, steif und ernst vor diesem Schreibtisch und dieser Schreibmaschine sitzend, die beide viel zu groß für ihn waren, in dieser Höhle, die für alle drei viel zu klein war, empfand ich für ihn eine Mischung aus Mitleid und Spott.
    »Ein Frühaufsteher, Herr Camacho«, begrüßte ich ihn und schob den Oberkörper in den Raum.
    Ohne den Blick vom Papier zu heben, beschränkte er sich darauf, mit einer herrischen Bewegung des Kopfes anzuzeigen, ich solle gefälligst schweigen oder warten oder beides. Ich wählte das letzte, und während er seinen Satz beendete, sah ich, daß der Tisch voll war mit beschrie benen Blättern und auf dem Boden einige zerknüllte Bogen lagen, die er, weil er keinen Papierkorb hatte, einfach dorthingeworfen hatte. Kurz darauf nahm er die Hände von den Tasten, sah mich an, stand auf, streckte mir die zeremonielle Rechte entgegen und erwiderte meinen Gruß mit der Sentenz:
    »Für die Kunst gibt es keinen Stundenplan. Guten Tag, mein Freund.“
    Ich fragte nicht, ob er in diesem

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