Tante Julia und der Kunstschreiber
Arbeit niemals die Zeit, eine so umfassende Tour zu machen. Es sei auch schon wieder drei Jahre her, daß er in seiner Lieblingsstadt London gewesen sei. Während er plauderte, sah er, wie Elianita heimlich das Korsett versteckte, sich einen Morgenrock überzog, ein Kleid, eine Bluse mit besticktem Kragen und Manschetten und ein Paar Schuhe bereitlegte, wieder ins Bett stieg und sich mit der Überdecke zudeckte. Er fragte sich, ob es nicht besser wäre, offen mit seiner Nichte zu sprechen und ihr einige Ratschläge für die Reise zu geben, doch nein, der Ärmsten wäre das sicher sehr peinlich gewesen. Außerdem hatte sie bestimmt heimlich einen Arzt aufgesucht und war bestens informiert. Es war jedoch gewagt, ein so eng geschnürtes Korsett zu tragen; es hätte eine böse Überraschung geben können, und wenn sie es weiter trug, konnte das Kind Schaden nehmen. Es rührte ihn, daß Elianita schwanger war, seine kleine Nichte, an die er nur denken konnte wie an ein keusches Kind. Er ging zur Tür, öffnete sie und beruhigte die Familie mit lauter Stimme, damit ihn auch die Braut hören konnte:
»Sie ist gesünder als ihr und ich, aber todmüde. Holt ihr dieses Beruhigungsmittel und laßt sie ein wenig ausruhen.« Venancia war ins Schlafzimmer gestürzt, und Dr. Quinteros sah über seine Schulter hinweg, wie die Alte Elianita streichelte. Auch die Eltern kamen herein, und der Rothaarige Antûnez wollte ebenfalls hineingehen, doch Dr. Quinteros nahm ihn diskret am Arm und zog ihn ins Badezimmer. Er schloß die Tür.
»Das war sehr unklug, in ihrem Zustand den ganzen Nachmittag so wild zu tanzen, Rotfuchs«, sagte er im natürlichsten Ton der Welt, während er sich die Hände einseifte. »Sie hätte eine Fehlgeburt haben können. Rate ihr, kein Korsett zu tragen und vor allem nicht so geschnürt. Wie weit ist sie? Dritter oder vierter Monat?«
In diesem Augenblick schoß ihm schnell und tödlich wie ein Kobrabiß ein Verdacht durch den Kopf. Erschrocken spürte er, wie sich das Schweigen im Badezimmer mit elektrischer Spannung auflud, und sah in den Spiegel. Der Rothaarige hatte die Augen ungläubig aufgerissen, den Mund zu einer Grimasse verzerrt, die seinem Gesicht einen absurden Ausdruck gab, und war totenblaß geworden.
»Dritter, vierter Monat?« hörte er ihn stammeln. »Eine Fehlgeburt?«
Dr. Quinteros fühlte wie der Boden unter ihm wankte. Wie dämlich, wie unglaublich dämlich du bist, dachte er. Und nun erinnerte er sich mit grausamer Präzision, daß die Brautzeit und die Hochzeitsvorbereitungen Elianitas eine Geschichte von wenigen Wochen gewesen waren. Er hatte sich von Antûnez abgewandt, trocknete sich die Hände etwas zu langsam und suchte in seinem Gehirn verzweifelt nach irgendeiner Lüge, irgendeiner Täuschung, die diesen Jungen wieder aus der Hölle herausholen könnte, in die er ihn gerade gestoßen hatte. Es kam ihm nur etwas in den Sinn, das er ebenfalls recht dämlich fand:
»Elianita soll nicht wissen, daß ich es gemerkt habe. Ich habe sie in dem Glauben gelassen, ich wüßte nichts. Und vor allen Dingen, reg dich nicht auf, es geht ihr gut.“ Rasch ging er hinaus und sah ihn im Vorbeigehen aus den Augenwinkeln an. Der Rothaarige stand noch auf der gleichen Stelle, die Augen ins Leere gerichtet, jetzt auch der Mund geöffnet und das Gesicht in Schweiß gebadet. Er hörte, wie er das Badezimmer abschloß, und dachte, jetzt wird er weinen, mit dem Kopf gegen die Wand rennen und sich die Haare raufen. Er wird fluchen und mich mehr hassen als sie und alle anderen. Mit dem erdrückenden Gefühl von Schuld und voller Zweifel ging er langsam die Treppe hinunter. Automatisch wiederholte er den Gästen, Elianita fehle nichts, sie komme gleich wieder herunter. Er ging in den Garten hinaus, und die frische Luft tat ihm gut. Dann ging er zur Bar, trank ein Glas Whisky pur und beschloß, nach Hause zu gehen, ohne die Entwicklung des Dramas abzuwarten, das er naiv und in der besten Absicht provoziert hatte. Er wollte sich in seinem Arbeitszimmer einschließen, in seinen schwarzen Ledersessel setzen und sich in Mozarts Musik versenken.
Vor der Tür stieß er auf Richard, der in einem jämmerlichen Zustand im Gras saß. Er hatte wie ein Buddha die Beine gekreuzt und den Rücken gegen das Gitter gelehnt. Sein Anzug war zerknautscht und voller Staub, Flecken und Gras. Aber es war sein Gesicht, das den Arzt von Elianita und dem Rothaarigen ablenkte und ihn stehenbleiben ließ. In Richards
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