Tante Lisbeth (German Edition)
Glück! Und doch litt sie. Heimlich unterlag sie den gräßlichsten Wutanfällen; aber sobald sie ihren Hektor wiedersah, traten ihr immer zugleich die zwölf Jahre ihres ungetrübten Glückes vor Augen, und sie fand nicht die Kraft, sich auch nur ein einziges Mal zu beklagen. Am liebsten hätte sie es gehabt, wenn ihr Mann sie zur Vertrauten gemacht hätte; aber sie besaß aus Achtung vor ihm nicht den Mut, ihm je zu verstehen zu geben, daß sie seine Abenteuer kannte. Diese übermäßige Rücksicht findet sich nur bei Frauen aus dem Volke, die Schläge hinnehmen, ohne sie zu erwidern. Es steckt noch ein Rest von Leibeigenschaft in ihrem Blute. Hochgeborene Frauen hingegen, die sich ihrem Manne gleichgestellt fühlen, sind instinktive Tyranninnen, und wo sie etwas nachsehen, markieren sie das doch, wie man beim Billardspiel die Pointe markiert. Etwas Teuflisches zwingt sie dazu, sich eine gewisse Überlegenheit, das Recht auf Rache, zu wahren.
Einen leidenschaftlichen Verehrer hatte die Baronin in ihrem Schwager, dem Generalleutnant Grafen Hulot, dem berühmten Kommandeur der Kaiserlichen Gardegrenadiere zu Fuß, der in seinen alten Tagen Marschall geworden war. Nachdem er von 1830 bis 1834 Divisionär der bretonischen Regimenter – also auf dem Schauplatze seiner Heldentaten von 1799 bis 1800 – gewesen, hatte er sich in Paris zur Ruhe gesetzt und führte nur noch ein leichtes Amt im Landesverteidigungsrat. Sein altes Soldatenherz schlug mit dem seiner Schwägerin, die er als Ausbund ihres Geschlechts bewunderte. Er war unverheiratet geblieben, weil er eine zweite Adeline hatte finden wollen, aber während seiner Fahrten und Feldzüge in aller Herren Länder vergebens danach gesucht hatte. Napoleon hatte von ihm gesagt: »Der tapfere Hulot ist durch und durch Republikaner, aber verraten wird er mich niemals!« Um der Achtung dieses Ritters ohne Furcht und ohne Tadel nicht verlustig zu gehen, hätte Adeline noch viel grausamere Leiden ertragen als die, die soeben auf sie eingestürmt waren. Aber der Zweiundsiebzigjährige, der in dreißig Feldzügen ergraut und bei Waterloo zum siebenundzwanzigsten Male verwundet worden war, war ihr ein Abgott, jedoch kein Beschützer. Neben anderen Gebrechen mußte er sich übrigens eines Hörrohres bedienen.
Solange der Baron Hulot von Ervy ein schöner Mann war, kosteten ihn seine Liebschaften nichts; aber mit fünfzig Jahren verlassen einen die Grazien, und bei alternden Männern wird Lieben ein Laster. Sie werden dabei sinnlos eitel. Auch Adeline beobachtete an ihrem Manne, daß er in seiner Toilette unglaublich umständlich wurde. Er färbte sich Haare und Bart, trug Gürtel und Korsett; kurzum, er wollte um jeden Preis »der schöne Mann« bleiben. Diese Pflege seines Äußern, die er ehedem an andern verhöhnt hätte, trieb er, bis ins Kleinlichste. Dazu machte die Baronin die Wahrnehmung, daß der Geldstrom, der seinen Kurtisanen zufloß, seine Quelle schließlich gar bei ihr suchte. Seit acht Jahren war ein beträchtliches Vermögen verschwendet worden, und zwar so gründlich, daß ihr der Baron vor nunmehr zwei Jahren gelegentlich der Niederlassung seines Sohnes als Rechtsanwalt notgedrungen das Geständnis gemacht hatte, seine Mittel beständen nur noch aus seinem Gehalt.
»Wohin soll das führen?« hatte Adeline gefragt. »Mache dir keine Sorgen«, war seine Antwort gewesen. »Ich lasse euch die Einkünfte meiner hohen Stellung. Hortenses Ausstattung und unsere Zukunft werde ich durch Spekulationen sichern.«
Der feste Glaube dieser Frau an die Macht und die starke Kraft, an die Fähigkeiten und den Charakter ihres Gatten hatte ihre flüchtige Unruhe wieder verscheucht. Seit zwei Jahren sah sich die arme Frau vor einem tiefen Abgrunde, doch glaubte sie, nur sie allein sähe ihn. Sie wußte nicht, wie die Heirat ihres Sohnes zustande gekommen war; sie ahnte nichts von dem Verhältnisse Hektors mit der habsüchtigen Josepha. Kurzum, sie hoffte, daß kein Mensch auf Erden ihr Leid kenne. Wenn nun Crevel allerorts so rücksichtslos vom Leichtsinn ihres Mannes redete, so mußte Hektor ja sein öffentliches Ansehen verlieren. Aus den häßlichen Reden dieses aufgebrachten ehemaligen Parfümerienhändlers trat ihr die abscheuliche Kumpanei entgegen, der die Heirat des jungen Advokaten zu verdanken war. Zwei Dirnen waren die Schutzgöttinnen dieser Ehe gewesen, die bei irgendeinem Bacchanal zwischen würdelosen Intimitäten von zwei angetrunkenen alten Lebemännern
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