Tante Lisbeth (German Edition)
kommen. Sie wollte sie dem Elend entreißen und gut unterbringen. Als man aber die Unmöglichkeit einsah, dieses Mädchen mit den dunklen Augen und den kohlschwarzen Brauen, das obendrein weder schreiben noch lesen konnte, ohne weiteres unter die Haube zu bekommen, was Adeline am liebsten getan hätte, verschaffte ihr der Baron fürs erste eine Stellung als Lehrmädchen in der Kaiserlichen Hofstickerei, bei der berühmten Firma Gebrüder Pons.
So wurde die Kusine, die man »Tante Lisbeth« zu nennen pflegte, Gold- und Silberstickerin. Energisch wie alle Bergbewohner, hatte sie den Mut, noch lesen, rechnen und schreiben zu lernen. Ihr Vetter, der Baron, hatte ihr klargemacht, daß diese Kenntnisse notwendig seien, um später ein Stickereigeschäft selbständig leiten zu können.
Lisbeth wollte auf jeden Fall reich werden, und so wandelte sie sich in zwei Jahren durch und durch. Um 1811 war aus dem Landmädchen bereits eine ganz nette und recht geschickte und kluge Vorstickerin geworden.
In dieser Industrie, der Gold- und Silberstickerei, wurden die Epauletten, Portepees, Achselschnuren und all die Unmenge von glänzenden Dingen verfertigt, die auf den prunkenden Uniformen der französischen Armee und Beamtenschaft blinkten. Als Italiener war der Kaiser ein großer Freund prächtiger Tracht. Er hatte sämtliche Nähte an den Röcken seiner Staatsdiener mit Gold und Silber bespickt – und sein Reich zählte 133 Departements! Diese Zutaten wurden gewöhnlich an die reichen und soliden Schneiderfirmen geliefert oder auch unmittelbar an die Würdenträger. Diese Fabrikation war ein sicheres Geschäft.
In dem Augenblick, als Tante Lisbeth, die geschickteste Arbeiterin im Hause Pons, die Leiterin der Manufaktur, sich hätte selbständig machen können, kam es zum Sturze des Kaiserreichs. Die Friedenspalme in der Bourbonen Hand schreckte Lisbeth ab; sie fürchtete einen Niedergang in ihrem Handelszweig, da nur noch 86 Departements an Stelle von 133 mit Goldstickereien zu versehen waren, abgesehen von der bedeutenden Verminderung des Heeres. Kurz und gut, das wechselnde Glück in der Industrie verblüffte sie derartig, daß sie das Angebot des Barons zurückwies. Er hielt sie daraufhin für verrückt und ward darin bestärkt, denn sie überwarf sich mit Rivet, dem Erwerber der Firma Pons, mit dem der Baron sie hatte assoziieren wollen. So wurde sie wieder einfache Arbeiterin, und die Familie Fischer sank in die unsichere Lage zurück, der sie dereinst durch den Baron Hulot enthoben worden war.
Durch die Katastrophe von Fontainebleau zugrunde gerichtet, traten die drei Brüder aus lauter Verzweiflung in die Freischaren von 1815 ein. Der älteste, Lisbeths Vater, fiel. Adelines Vater, von einem Kriegsgericht zum Tode verurteilt, flüchtete nach Deutschland und starb im Jahre 1820 in Trier. Der jüngste, Hans, kam nach Paris und warf sich der »Königin der Familie« zu Füßen, die angeblich in Gold und Silber schwamm und auf den Bällen die ihr vom Kaiser geschenkten Brillanten trug, die so groß waren wie Haselnüsse. Damals dreiundvierzig Jahre alt, bekam Hans Fischer vom Baron Hulot zehntausend Francs ausgezahlt, um in Versailles einen kleinen Getreidehandel anzufangen, der vom Kriegsministerium durch den heimlichen Einfluß von Freunden, die der ehemalige Generalintendant dort immer noch hatte, unterstützt wurde.
Die Schicksalsschläge in ihrer Familie und die Gewißheit, in jenem großen Wirrwarr von Menschen, Interessen und Geschäften, das Paris ebenso zu einer Hölle wie zu einem Paradiese gestaltet, nur eine Null zu sein, machten Lisbeth zahm. Die unverheiratet Gebliebene verlor alle Lust, um Gleichberechtigung mit ihrer Kusine zu kämpfen, hatte sie doch deren Überlegenheit in verschiedentlichster Hinsicht gespürt. Aber im Grunde ihres Herzens lauerte auch weiterhin der Neid gleichwie ein Pestbazillus, der jeden Augenblick wirken und eine ganze Stadt verwüsten kann, wenn man den verhängnisvollen Wollballen öffnet, in dem er nistet. Von Zeit zu Zeit sagte sie sich: Adeline und ich, wir sind Blutsverwandte; unsere Väter waren Brüder. Sie wohnt in einem Palast und ich in einem Dachstübchen!
Alljährlich erhielt Tante Lisbeth zu ihrem Namenstage und zum Neujahrsfest von der Baronin und dem Baron Geschenke. Der Baron bezahlte ihr auch gnädigst das Brennholz für den Winter. Der alte General Hulot empfing sie regelmäßig einmal in der Woche zu Tisch, und im Hause ihrer Kusine lag stets für sie ein Gedeck
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