Tante Lisbeth (German Edition)
Wildnis ... Dank dem Baron Hulot sind alle die schönen Eigenschaften Speck für die Mäuse geworden und das Mädel selber eine Königin im Reiche der Lüste! Das harmlose kleine Schäfchen von ehedem ist heute das gerissenste Weibsstück ...«
Der alte Parfümerienhändler wischte sich die tränenfeuchten Augen. Die Ehrlichkeit seines Schmerzes machte Eindruck auf die Baronin. Sie riß sich aus den Grübeleien, in die sie versunken war.
»Sagen Sie, gnädige Frau«, fuhr Crevel fort, »kann man mit zweiundfünfzig Jahren einen solchen Schatz wiederfinden? In einem Alter, wo die Liebe jährlich dreißigtausend Francs kostet! Ich sehe das an Ihrem Herrn Gemahl. Aber ich liebe meine Tochter zu zärtlich, um sie zu ruinieren ... Als ich Sie kennenlernte, bei jenem ersten Diner, zu dem Sie mich eingeladen hatten, da begriff ich nicht, warum Ihr Mann, der Schurke, eine Jenny Cadine aushielt. Sie sahen wie eine Kaiserin aus. Sie waren noch nicht dreißig Jahre. Sie waren jung und schön! Auf Ehre, an dem Tage war ich tief erschüttert. Ich sagte mir: Hätte ich nicht meine Josepha, so wäre diese von ihrem Gatten verlassene Frau meine richtige Handschuhnummer ... Verzeihung! Das ist so eine Redensart von früher her! Der Parfümerienfritze kommt ab und zu wieder zum Vorschein! Es ist Zeit, daß ich Abgeordneter werde! – Also, nachdem mich der Baron so niederträchtig betrogen hatte – unter alten Kameraden, die wir waren, muß einem die Geliebte des Freundes heilig sein! –, da hab ich mir geschworen, ihm seine Frau zu rauben. Das wäre Vergeltung! Der Baron könnte gar nichts dagegen tun. Wir würden sicher straflos ausgehen. Und doch jagen Sie mich von Ihrer Schwelle wie einen räudigen Hund – bei dem ersten Wort, mit dem ich Ihnen den Zustand meines Herzens andeute. Damit haben Sie meine Liebe, meine Beharrlichkeit – wie Sie sagen – verdoppelt. Sie sind mir verfallen!«
»Wieso?«
»Das weiß ich nicht, aber es ist so. Sehen Sie, gnädige Frau, ein dummer Kerl wie ich, ein Kaufmann, der kein Geschäft mehr hat, wenn der sich einmal einen Gedanken in den Kopf gesetzt hat, so ist er tausendmal halsstarriger als ein Gelehrter, der tausend Ideen im Gehirn hat. Ich bin in Sie vernarrt. Sie verkörpern meine Rache. Das ist gleichsam eine doppelte Leidenschaft! Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube. Ich weiß, was ich will. Und wenn Sie mir auch sagen, Sie würden nie die Meine, so rede ich doch kaltlächelnd mit Ihnen weiter. Wie das Sprichwort sagt: Ich spiele mit offenen Karten. Und ich sage Ihnen: Eines Tages gehören Sie mir! Und sollte ich warten, bis Sie fünfzig Jahre alt sind: meine Geliebte werden Sie doch! Es muß so kommen! Dafür wird Ihr Gatte sorgen!«
Die Baronin warf dem Vorausrechner einen Blick zu, dessen grenzenlose Angst ihm halb verrückt vorkam. Crevel lenkte ein.
»Sie haben es so gewollt! Sie haben mich mit Ihrer Geringschätzigkeit überschüttet. Sie haben mich verachtet. Ich mußte reden.«
Damit wollte er notgedrungen seine letzten zügellosen Worte mildern.
»Meine arme Tochter, meine arme Tochter!« lispelte die Baronin vor sich hin. Es war ihr, als ob sie sterben sollte.
»Was geht mich das an!« erwiderte Crevel. »Damals, als mir Josepha untreu wurde, war ich wie eine Löwin, der man ihre Jungen weggenommen hat ... Kurz und gut, mir war zumute wie Ihnen in dieser Stunde. Ihre Tochter! Gerade sie ist mir das Mittel zum Zweck, um Sie zu erringen! Ich bin daran schuld, ich und kein anderer, daß die Heirat Ihrer Tochter nicht zustande gekommen ist, und ohne meine Beihilfe wird sie nie und nimmer zustande kommen! Mag Fräulein Hortense noch so schön sein, eine Mitgift braucht sie!«
»Leider!« Die Baronin wischte sich die Augen.
»Na – und bitten Sie Ihren Mann bloß einmal um zehntausend Francs! Versuchen Sie es nur!« meinte Crevel, indem er sich in Positur setzte. Dann schwieg er eine Weile wie ein Schauspieler, der auf sein Stichwort wartet. »Und wenn er die zehntausend hätte, würde er sie der Nachfolgerin von Josepha geben.« Crevel brüllte beinahe. »Er ist unverbesserlich. Er kann die Weiber nicht lassen. Sie sind sein Element sozusagen. Und die liebe Eitelkeit kommt auch noch dazu. Ein netter Familienvater! Wenn er nur sein Vergnügen hat! Ihr könnt alle zusammen auf Stroh liegen. Viel fehlt übrigens nicht, und der Ruin ist da. Solange ich in diesem Hause verkehre, hat sich die Einrichtung Ihres Salons nicht verändert. Die Armut guckt aus allen
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