Tante Lisbeth (German Edition)
Ecken und Enden hervor. Den Schwiegersohn können Sie sich malen, der angesichts dieses Elends nicht kehrtmacht. Und das Elend der vornehmen Leute ist das allerschlimmste. Ich bin Kaufmann gewesen. Mir macht keiner was vor. Ein Pariser Kaufmann hat gute Augen. Unsereiner erkennt den Unterschied zwischen echtem und falschem Prunk sofort. Sie haben keinen roten Heller!« Er begann leise zu sprechen. »Das sieht man an allem. Sogar an der Livree Ihres Dieners. Soll ich Ihnen einmal ein paar häßliche Geheimnisse offenbaren?«
»Herr Crevel!« Frau von Hulot weinte in ihr Taschentuch hinein. »Es ist genug!«
»Ach was! Mein Schwiegersohn schiebt seinem Vater Geld zu. Das wollte ich Ihnen zunächst von dem Benehmen Ihres Sohnes berichten. Aber ich werde die Interessen meiner Tochter zu wahren wissen. Darauf können Sie sich verlassen!«
»Ach, ich möchte meine Tochter verheiratet sehen und dann sterben!« rief die Baronin. Sie war todunglücklich.
»Das liegt ja ganz in Ihrer Hand«, meinte der ehemalige Parfümerienhändler.
Frau von Hulot sah Crevel mit einem Ausdrucke voll Hoffnung an. Das veränderte ihr Gesicht so plötzlich, daß allein dieser Wandel den Mann da vor ihr hätte rühren und von seinem lächerlichen Vorhaben abbringen müssen.
»Noch in zehn Jahren werden Sie schön sein!« beteuerte er, indem er sich in seine Attitüde rückte. »Seien Sie lieb zu mir, und Fräulein Hortense ist verheiratet! Ihr Mann hat mich bevollmächtigt, kann ich Ihnen sagen, die Sache ohne Zimperlichkeit ins Lot zu bringen. Er wird sich nicht weiter betrüben. Seit drei Jahren verbrauche ich nicht einmal meine Zinsen mehr. Ich mache keine großen Dummheiten. Abgesehen von meinem eigentlichen Vermögen habe ich dreihunderttausend Francs Ersparnisse ...«
»Gehen Sie fort, Herr Crevel!« unterbrach ihn die Baronin. »Gehen Sie und lassen Sie sich nie wieder vor mir blicken! Wenn es nicht hätte sein müssen, wenn ich nicht hätte wissen müssen, warum Sie sich in der Angelegenheit von Hortenses Heiratsplan so niederträchtig benommen haben .... Jawohl, niederträchtig!« wiederholte sie auf eine abwehrende Gebärde Crevels. »Wie könnten Sie sonst einen derartigen Haß auf ein armes Mädchen häufen, auf ein schönes unschuldiges Geschöpf! Wenn es nicht hätte sein müssen, aus mütterlicher Herzensnot, hätte ich nie wieder ein Wort mit Ihnen gesprochen, hätte ich Sie nie wieder zu mir vorgelassen! Zweiunddreißig Jahre bin ich eine anständige und treue Frau geblieben. Meine Frauenehre soll auch vor dem Ansturm eines Herrn Crevel nicht zuschanden werden ...«
»... ehemaligen Parfümerienhändlers, Nachfolgers in Firma Cäsar Birotteau ›Zur Rosenkönigin‹, Rue Saint-Honore«, ergänzte Crevel spöttisch, »Stadtrats, Hauptmanns der Bürgerwehr, Ritters der Ehrenlegion ...«
»Herr Crevel«, unterbrach ihn die Baronin, »wenn mein Mann nach zwanzigjähriger Treue seine Frau satt bekommen hat, so geht das niemanden etwas an außer mir! Wie sehr er seine Untreue zu verheimlichen verstanden hat, das sehen Sie daraus, daß ich nicht gewußt habe, daß er das Herz von Fräulein Josepha nach Ihnen besessen hat ...«
»Jawohl, und mit Gold erkauft, gnädige Frau!« fuhr Crevel auf. »Der Racker hat ihm in diesen zwei Jahren bare einhunderttausend Francs gekostet. Sie werden noch so manches erleben ...«
»Lassen wir das, Herr Crevel! Ich werde Ihnen zuliebe nicht auf das Glücksgefühl verzichten, das eine Mutter empfindet, wenn sie ihre Kinder reinen Herzens an sich drückt, verehrt und geliebt von den Ihren! Mein letztes Stündlein soll mir als einer Schuldlosen schlagen!«
»Amen!« höhnte Crevel in jener verteufelten Bitterkeit, die eingebildete Menschen ergreift, wenn sie in ein und derselben Sache wiederholt keinen Erfolg haben. »Was wissen Sie von der letzten Neige des Elends, von Schmach und Schande! Ich habe den Versuch gemacht, Ihnen die Augen zu öffnen. Ich wollte Sie retten, Sie und Ihre Tochter. Sie werden den Becher des Unglücks bis auf den letzten Tropfen auskosten ... Ihre Tränen und Ihr Stolz rühren mich. Eine geliebte Frau weinen zu sehen, ist schrecklich!«
Indem er das sagte, setzte er sich. Dann fuhr er fort:
»Ich kann Ihnen weiter nichts versprechen, meine liebe Adeline, als daß ich nichts gegen Sie unternehmen will und nichts gegen Ihren Mann. Aber berufen Sie sich nie auf mich! Mehr vermag ich nicht zu tun.«
»Wie soll das enden?« rief Frau von Hulot aus.
Bis jetzt hatte die
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