Tanz auf Glas
davon.
Mein Handy klingelte in meiner Hosentasche, und ich klappte es auf. »Hallo, Priss.«
»Alles in Ordnung?«, fragte meine älteste Schwester ohne Umschweife.
»Charlotte hat gesagt, alles sähe gut aus. Sie wird sich melden, falls die Laborergebnisse etwas anderes behaupten.«
»Gut. Ich habe jetzt eine Besprechung, aber ruf mich später an. Das will ich genauer hören.« Und weg war sie.
Ich klappte das Handy zu und wechselte einen Blick mit Lily. »Kein Wunder, dass sie eine erfolgreiche Anwältin ist.«
»Sie will doch nur wissen, ob es dir gutgeht.« Lily zuckte mit den Schultern. »Also«, sagte sie dann, während wir das Restaurant betraten, »Mickey kommt am Freitag nach Hause? Weiß er von deinem Termin heute?«
Ich schüttelte den Kopf. »Er ist gerade erst wieder auf dem aufsteigenden Ast. Ich wollte es ihm später erzählen, wenn ich positive Neuigkeiten habe.«
»Du bist eine gute Frau, Lu. Mickey kann sich sehr glücklich schätzen.«
Ich tat ihr Kompliment mit einem Schulterzucken ab und dachte bei mir, dass es eigentlich umgekehrt war. Nach allem, was wir durchgemacht hatten, war ich sicher, dass ich Mickey Chandler jetzt noch mehr liebte als am Tag unserer Hochzeit.
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2
SCHREIBEN = VERARBEITEN = ERKENNTNIS
7 . Juni 2011 – für Sitzung bei Gleason
D iesmal habe ich eine Woche gebraucht, um wieder aus dem Loch herauszukommen. Aber zumindest konnte ich mich noch am Rand festhalten, statt abzurutschen und darin zu ertrinken. Mir war bewusst, dass ich in Schwierigkeiten steckte, als ich an der Kante balancierte und mir wieder einmal einbildete, ich könnte hochspringen und fliegen – über dem Abgrund hin und her flattern und schweben. Ich wusste, dass dieser Abgrund mich verschlingen konnte wie schon so oft, aber diesmal tat er es zum Glück nicht.
So sieht mein Leben aus: Immerzu trete ich an den Rand und wieder zurück von diesem Loch, das abwechselnd faszinierend und entsetzlich ist – gefüllt mit dem, was meine gestörte Fantasie gerade darin zu sehen behauptet. Ich müsste mich unbedingt davon fernhalten, aber je näher ich dem Loch komme, desto besser geht es mir. Oder desto schlechter. Und das ist die schreckliche Ironie daran, denn ich fühle mich zwanghaft von dieser Gefahr angezogen, und je näher ich ihr komme, desto näher will ich ihr sein. Diese Tiefen bieten eine unvorstellbar vollkommene Flucht – manchmal ein absolutes Hochgefühl, ein andermal wieder so intensiven Schmerz, dass ich ihn gar nicht beschreiben kann. Jedenfalls lockt mich der Rand mit seinen Lügen, die wie Versprechen klingen. Leise, verführerische Lügen, denen ich nicht immer widerstehen kann.
Medikamente helfen. Und regelmäßige Therapiesitzungen. Meine eigene Willenskraft hilft auch, wenn ich sie denn finden kann. Ebenso mein Intellekt, der erstaunlicherweise nicht an die abtrünnigen Funktionen meines kranken Hirns gekoppelt ist. Ich habe in dieser Hinsicht die höchste Bildungsstufe, die man durch persönliche Erfahrung erreichen kann. Mittendrin weiß ich fast immer, was mit mir geschieht, obwohl ich es manchmal nur von fern erkenne, wie ein Zuschauer. Trotzdem versuche ich dann, eine der vielen Strategien anzuwenden, die ich erlernt habe, um nicht verschlungen zu werden. Das funktioniert nicht immer.
Der stärkste äußere Einfluss ist meine Frau. Ihr zuliebe bin ich fest entschlossen, sicheren Abstand zu diesem Abgrund zu wahren, obwohl es mir nicht immer gelingt. Manchmal kommt der Rand auch auf mich zu, etwa damals, als sie krank wurde. Manchmal auch ganz ohne Grund. Der Abgrund wird auf unerklärliche Weise immer breiter, während ich vom Rand davonlaufe, um mein Leben laufe – bis sich der Boden unter meinen Füßen in Luft auflöst und ich wieder abstürze, obwohl ich mich nach Kräften bemüht habe.
Für die meisten Leute existiert dieses Loch gar nicht, aber für jemanden mit einer bipolaren Störung ist es eine echte Gefahr. Ich weiß, dass ich mich anhöre wie ein Drogensüchtiger, aber keine Droge fühlt sich so an wie die Manie, kurz bevor sie einem um die Ohren fliegt, oder wie die Verzweiflung, kurz nachdem man ihr erlegen ist.
7 . Juni – später
Ich habe diesen Tagebucheintrag noch einmal auf eventuellen verräterischen Blödsinn durchgelesen, wegen dem mein Psychiater, Gleason Webb, ihn wegwerfen und mich das Ganze noch einmal würde schreiben lassen. Aber ich habe keine Stelle gefunden, an der ich es allzu sehr übertrieben hätte. Das war
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