Tanz auf Glas
alles ziemlich echt, und ich finde, für einen Irren habe ich meine Situation ganz gut dargestellt.
Ich habe auf der Treppe vor diesem alten Irrenhaus, das mir schon manchmal vorkam wie mein zweites Zuhause, auf Lucy gewartet. Ich hatte einen guten Tag, innerlich wie äußerlich. Ich konnte spüren, wie mein stabiles Selbst langsam, aber sicher wieder zum Vorschein kam, und ich musste mir eingestehen, dass ich den Kerl vermisst hatte. Es ging mir gut mit ihm. Er war nicht gerade aufregend, aber bei ihm fühlte ich mich wohl und sicher, und ich konnte mich immer auf seine klaren Gedanken verlassen.
Ich sah auf die Uhr und fragte mich, wo Lucy blieb – sie hätte schon da sein sollen. Ich stand auf, fing an, hin und her zu laufen, setzte mich aber schnell wieder. Sie würde schon kommen, kein Grund zur Aufregung. Ich kicherte, denn in dem Moment merkte ich, dass die Wirkung der Medikamente eingesetzt hatte. Ich konnte vernünftig mit mir selbst reden und darüber sogar lächeln … das Wunder der Psychopharmaka. Lucy würde sich darüber freuen, sie mochte den stabilen Kerl lieber als mich – was auch nicht ganz stimmt. Lucy liebte mich – das Ich aus lauter Einzelteilen, von denen manche überzählig und manche kaputt waren. Sie liebte das Gesamtpaket – das müsse sie, hat sie gesagt, denn sonst hätte es gar keinen Sinn, mich überhaupt zu lieben. Sie hat mir vor einer Ewigkeit geschworen, dass es so ist, und sie hat Wort gehalten. Wer hätte das geglaubt? Ich empfinde geradezu Ehrfurcht vor dieser Frau, immer noch. Vor allem zu Zeiten wie jetzt, denn das Erste, was ich klar erkennen kann, wenn ich mit benebeltem Hirn aus dem Loch klettere, ist ihre Liebe. So viel Glück hat wirklich nicht jedes arme Schwein von einem falsch verdrahteten Irren.
Mickey wartete auf den Stufen des Edgemont Hospital auf mich und sah in seiner Jeans und einem grauen T-Shirt kein bisschen aus wie ein Patient. Sobald ich die Straße überquerte und er mich entdeckte, begann er zu strahlen, und ich hätte kichern können, so gut, so gesund sah er aus. Die breiten Schultern und langen Beine waren unverkennbar Mickey. Aber sein Lächeln war das Barometer seiner geistigen Gesundheit, und aus dieser Entfernung sah es recht gut aus. Er stand auf und schob die Sonnenbrille hoch in sein dunkles Haar, das immer noch voll war, über die silbrige Strähne in seiner Stirn, genauso markant wie an dem Tag, an dem ich ihn kennengelernt hatte. Mickey kam mit einem breiter werdenden Grinsen auf mich zu, schlang die Arme um mich und drückte mich fest an sich. Fest, aber nicht wie ein Ertrinkender in Todesangst. Das war ein gutes Zeichen. Ich glaubte sogar, meinen Mickey dort drin sehen zu können, in diesen dunklen Augen, die mir noch vor ein paar Tagen wild und wirr entgegengestarrt hatten.
»Wie geht es dir?«
Mickey richtete sich auf und strich mir übers Haar. »Besser, Lu. Und ich hatte heute Morgen einen Termin bei Gleason. Er hat gesagt, ich könne definitiv am Freitag nach Hause gehen.«
Ich küsste ihn. »Freut mich für dich. Und für mich.«
»Ja.« Er zog mich wieder an sich. Da war er. Das war mein Mickey.
»Was tust du hier draußen?«
»Ich warte auf dich. Peony passt auf mich auf.« Er hob den Kopf, und ich folgte seinem Blick. Und tatsächlich, Mickeys Krankenschwester Peony Litman stand am Fenster im zweiten Stock und wackelte warnend mit dem Zeigefinger. Sie musste mindestens siebzig sein und war, wie sie es vor langer Zeit in der Ausbildung gelernt hatte, immer ganz in Weiß gekleidet, samt Haube.
»Sie hat gesagt, wir dürfen spazieren gehen, wenn du die Verantwortung für mich übernimmst.«
Ich schaute erneut hoch und winkte. Die alte Krankenschwester lächelte und drohte dann auch mir mit dem Zeigefinger.
Edgemont ist ein Krankenhaus aus der Kolonialzeit, das mehrmals umgebaut und restauriert wurde. Es sieht von außen immer noch malerisch und altmodisch aus, beherbergt aber das moderne Kreiskrankenhaus von Brinley und New Brinley. Es ist von einer makellos gepflegten Außenanlage umgeben, in der an diesem warmen Nachmittag einige Patienten spazieren gingen. Ich zog mir Mickeys Arm über die Schulter und sog den weichen Duft von Flieder und Lavendel ein.
»Du hast mir gefehlt, Kleines«, sagte er.
»Du mir auch.«
»Zumindest bin ich diesmal nicht in ein Flugzeug gestiegen oder habe irgendetwas gestohlen. Oder den Garten umgegraben.«
»Immerhin etwas.«
Letzte Woche waren Mickeys Stimmung und Energie
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