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Tanz der seligen Geister (German Edition)

Tanz der seligen Geister (German Edition)

Titel: Tanz der seligen Geister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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vorübergehend ausgezogen, auf ihn wartend. Sie hatten einen Ausdruck, der hartnäckig und unnachgiebig, sogar brutal war, und ergehörte für mich zum Aussehen meines Vaters, das Gegenstück zu seinem Gesicht mit seiner Bereitschaft zu Scherzen und Nettigkeiten. Auch überraschte mich die Brutalität nicht; mein Vater kam immer von Orten zu uns, zu meiner Mutter und mir, zurück, an die ihm unser Urteilsvermögen nicht folgen konnte.
    Zum Beispiel war in der Falle eine Bisamratte. Anfangs sah ich sie am Rand des Wassers wogen wie etwas Tropisches, ein dunkler Farn. Mein Vater zog sie hoch, und die Haare wogten nicht mehr, lagen dicht an, der Farn wurde ein Schwanz mit dem Körper einer Ratte daran, glatt und tropfend. Sie fletschte die Zähne, auf ihren Augen stand Wasser, darunter waren sie tot und trüb, sie glänzten wie nasse Kiesel. Mein Vater schüttelte das Tier und wirbelte es herum, so dass ein kleiner Schauer aus eisigem Flusswasser niederging. »Das ist eine wunderschöne Ratte«, sagte er. »Eine wunderschöne Königsratte. Schau dir ihren Schwanz an!« Dann, vielleicht, weil er dachte, ich sei bekümmert, oder weil er mir das Wunder einfacher, perfekter mechanischer Vorrichtungen zeigen wollte, zog er die Falle aus dem Wasser und erklärte mir, wie sie funktionierte, wie sie den Kopf der Ratte sofort unter Wasser drückte und sie gnädig ertränkte. Ich verstand nichts, und es war mir auch egal. Ich wollte nur – wagte es aber nicht – den steifen, durchnässten Körper anfassen, ein Stück vom Tod.
    Mein Vater tat wieder Köder in die Falle, ein paar Stückchen von einem gelben, verschrumpelten Winterapfel. Er steckte die tote Ratte in einen dunklen Sack, den er über die Schulter geworfen trug, wie ein Hausierer auf alten Bildern. Als er den Apfel zerschnitt, sah ich das Messer, mit dem er die Tiere häutete, seine schmale, blanke Klinge.
    Dann gingen wir am Fluss entlang, dem Wawanash River, der Hochwasser führte, er glitzerte silbern in der Mitte, wo die Sonne ihn traf und wo er seine schnellste Bewegung erreichte. Das ist die Strömung, dachte ich, und ich stellte mir die Strömung als etwas vom Wasser Getrenntes vor, geradeso wie der Wind von der Luft getrennt war und seine eigene heftige Form hatte. Die Uferböschungen waren steil und glitschig, bewachsen mit Weidensträuchern, die noch kahl und schlaff waren und schwach wie Gras aussahen. Das Geräusch des Flusses war nicht laut, aber tief und schien aus seiner Mitte zu kommen, von einem verborgenen Ort, wo das Wasser brausend aus dem Untergrund aufstieg.
    Der Fluss krümmte sich immer wieder, ich verlor die Orientierung. In den Fallen fanden wir weitere Ratten, nahmen sie raus, schüttelten sie und steckten sie in den Sack, erneuerten die Köder. Mein Gesicht, meine Hände, meine Füße wurden kalt, aber ich sagte nichts davon. Ich konnte nicht, nicht zu meinem Vater. Und er erteilte mir keine Ratschläge, sagte nicht, ich sollemich vorsehen, von der Uferkante wegbleiben, er hielt es für selbstverständlich, dass ich vernünftig genug war, nicht hinunterzufallen. Ich fragte ihn mit keinem Wort, wie weit wir gehen würden oder ob die Fallen je ein Ende nehmen würden. Nach einer Weile lag hinter uns ein Wäldchen, die Dämmerung setzte ein. Mir kam damals nicht in den Sinn, erst sehr viel später, dass es dasselbe Wäldchen war, das man von unserem Hof aus sah, in seiner Mitte erhob sich ein fächerförmiger Hügel mit Bäumen, die im Winter kahl waren und gegen den Himmel aussahen wie knochige kleine Zweige.
    Jetzt wuchsen auf der Uferböschung statt der Weiden dichte Sträucher, die mich überragten. Ich blieb auf dem Weg, auf halber Höhe der Böschung, während mein Vater zum Wasser hinunterging. Als er sich zur Falle vorbeugte, konnte ich ihn nicht mehr sehen. Ich schaute mich langsam um und sah etwas anderes. Weiter vorn war ein Mann auf dem Weg die Böschung hinunter. Er machte kein Geräusch zwischen den Sträuchern und bewegte sich leicht, als folgte er einem Pfad, den ich nicht sehen konnte. Anfangs sah ich nur seinen Oberkörper. Der Mann war dunkel, mit hoher kahler Stirn, langen Haaren hinter den Ohren und tiefen senkrechten Falten in den Wangen. Als die Sträucher lichter wurden, konnte ich ihn ganz sehen, seine langen, beweglichen Beine, seine Magerkeit, seine graubraune tarnfarbene Kleidung, und das, was er in derHand trug und was immer wieder in der Sonne aufblitzte – ein kleines Beil, eine Streitaxt.
    Ich regte mich

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