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Tanz der seligen Geister (German Edition)

Tanz der seligen Geister (German Edition)

Titel: Tanz der seligen Geister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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vereinzelte Häuser, die flach und klein aussahen.
    »Wessen Haus ist das?«, fragte mein Vater und zeigte auf eines.
    Es war unseres, erkannte ich nach einer Weile. Wir hatten einen Halbkreis beschrieben, und das war die Seite des Hauses, die im Winter niemand sah, die Haustür, die von November bis April nicht geöffnet wurde und deren Fugen immer noch mit Lumpen verstopft waren, um den Ostwind abzuhalten.
    »Es ist nur noch eine halbe Meile weit und bergab. Das schaffst du leicht. Bald sehen wir das Licht im Wohnzimmer, wo deine Mama ist.«
    Auf dem Weg fragte ich: »Warum hatte er eine Axt?«
    »Hör zu«, sagte mein Vater. »Hörst du mir zu? Er meint es nicht böse mit der Axt. Er hat bloß die Angewohnheit, sie mit sich rumzuschleppen. Aber sag zu Hause nichts davon. Nicht zu deiner Mutter und auch nicht zu Mary. Denn die könnten sich deswegen ängstigen. Du und ich, wir haben keine Angst, aber sie könnten es mit der Angst bekommen. Und das ist nicht nötig.«
    Nach einer Weile fragte er: »Wovon sollst du nichts sagen?«, und ich antwortete: »Von der Axt.«
    »Du hattest doch keine Angst?«
    »Nein«, sagte ich fröhlich. »Wer wird ihn und sein Bett verbrennen?«
    »Niemand. Außer er schafft es selbst wie letztes Mal.«
    »Wer sind die Silas-Brüder?«
    »Niemand«, sagte mein Vater. »Die gibt’s nicht.«
    »Heute haben wir den Richtigen für dich gefunden, Mary. Ich wünschte, wir hätten ihn mitbringen können.«
    »Wir dachten, ihr seid in den Wawanash River gefallen«, sagte Mary McQuade wütend und zog mir unsanft die Stiefel und die nassen Strümpfe aus.
    »Der alte Joe Phippen, der oben im Niemandsland haust.«
    »Der!«, sagte Mary, und es klang wie ein Knall. »Das ist doch der, der sein eigenes Haus niedergebrannt hat, denn kenn ich!«
    »Stimmt, und jetzt kommt er sehr gut ohne Haus zurecht. Wohnt in einem Erdloch. Da hättest du’s so gemütlich wie ein Murmeltier, Mary.«
    »Der suhlt sich doch bestimmt in seinem eigenen Dreck.« Sie brachte meinem Vater das Abendessen, und er erzählte ihr von Joe Phippen, dem überdachten Keller, den Brettern auf dem Erdboden. Er ließ die Axt aus, aber nicht den Whisky und den Kater. Für Mary war das genug.
    »Ein Mann, der so was tut, gehört eingesperrt.«
    »Vielleicht«, sagte mein Vater. »Trotzdem hoffe ich, sie kriegen ihn nicht so bald, den alten Joe.«
    »Iss dein Abendbrot«, sagte Mary, über mich gebeugt. Ich brauchte eine Zeitlang, bis ich merkte, dass ich keine Angst mehr vor ihr hatte. »Nun schau sie dir an«, sagte sie. »Ihr fallen ja schon die Augen aus dem Kopf, nach allem, was war. Hat er ihr auch Whisky vorgesetzt?«
    »Keinen Tropfen«, sagte mein Vater und sah mir über den Tisch hinweg unverwandt in die Augen. Wie die Kinder im Märchen, die gesehen haben, dass ihre Eltern mit furchterregenden Fremden einen Pakt schlossen, die entdeckt haben, dass unsere Ängste auf nichts als der Wahrheit beruhen, die aber nach wundersamer Rettung aus Gefahr heil nach Hause kehren, artig und wohlerzogen zu Messer und Gabel greifen und vergnügt bis an ihr seliges Ende leben – wie sie, von den Geheimnissen benommen und mit Macht begabt, sagte ich nie auch nur ein Wort.

Danke für die Schlittenfahrt
    Ich saß mit meinem Vetter George in einem Restaurant namens Pop’s Café, in einer Kleinstadt nahe am See. Es wurde langsam dunkel darin, und es brannte noch kein Licht, aber man konnte immer noch die Schilder lesen, die zwischen den mit Fliegendreck besprenkelten und etwas vergilbten Abbildungen von Erdbeereiscreme und Tomantensandwiches am Spiegel klebten.
    »Stellen Sie uns keine Fragen«, las George vor. »Wenn wir sie beantworten könnten, wären wir nicht hier«, und »Wenn Sie nichts zu tun haben, dann haben Sie endlich den richtigen Ort dafür gefunden.« George las immer alles laut vor – Plakate, Reklametafeln, Werbesprüche. »Mission Creek. 1700 Einwohner. Das Tor zum Bruce. Wir lieben unsere Kinder.«
    Ich überlegte, wessen Sinn für Humor wir wohl diese Schilder zu verdanken hatten. Ich nahm an, er gehörte dem Mann hinter der Registrierkasse. Pop? Der auf einem Streichholz herumkaute und auf die Straße hinaussah, nach nichts Bestimmtem Ausschau hielt, nur darauf wartete, dass jemand über einen Huckel im Bürgersteig stolperte oder eine Reifenpanne hatte oder sich so dämlich anstellte, wie es Pop, festgewachsen hinter der Registrierkasse, massig, zynischund abgeklärt, nie passieren könnte. Vielleicht nicht einmal das;

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