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Tanz der seligen Geister (German Edition)

Tanz der seligen Geister (German Edition)

Titel: Tanz der seligen Geister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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haben. Ich möchte sie fragen: Ist es möglich, dass Kinder, die so aufgewachsen sind wie wir, die Fähigkeit verlieren, an irgendein normales und friedliches Leben zu glauben und sich darin zu Hause zu fühlen? Aber ich frage sie nicht; wir reden nie über diese Dinge. Keine Geisterbeschwörung, sagt Maddy mit ihrer dünnen, hellen Stimme und dem vulgären Anklang, den ich vergessen hatte, wir werden uns nicht gegenseitig deprimieren. Also haben wir’s nicht getan.
    Eines Abends nahm Maddy mich mit zu einer Party am See, der ungefähr dreißig Meilen westlich von hier liegt. Die Party fand in einem Sommerhaus statt, das zwei Frauen aus Jubilee für eine Woche gemietet hatten. Die meisten Frauen dort schienen verwitwet, alleinstehend, getrennt oder geschieden zu sein; die Männer waren meistens jung und unverheiratet – die aus Jubilee so jung, dass sie mir nur als kleine Bengel in den unteren Klassen in Erinnerung waren. Zwei oder drei ältere Männer waren da, ohne ihre besseren Hälften. Aber die Frauen – sie erinnerten mich überraschend an bestimmte Frauen, die mir in meiner Kindheit vertraut waren, obwohl ich nie ihre Party-Persönlichkeiten gesehen hatte, sondern nur ihre Tätigkeiten in den Geschäften undBüros und nicht selten in den Sonntagsschulen von Jubilee. Sie unterschieden sich von den verheirateten Frauen dadurch, dass sie ein stärkeres Bewusstsein von sich in dieser Welt hatten, ein wenig flotter, gewiefter und freizügiger waren (obwohl mir nur ein oder zwei einfallen, deren Ehrbarkeit je in Frage stand). Sie trugen entschieden modische, wenn auch matronenhafte Kleider, die dazu neigten, über ihren harten Gummikorsetts zu zischen und zu rascheln, und sie taten Parfüm auf ihre künstlichen Blumen, sogar ziemlich viel. Maddys Freundinnen waren beträchtlich modernisiert; sie hatten kupferrote Spülungen im Haar, blaue Augenlider und eine robuste Trinkfestigkeit.
    Maddy, fand ich, sah nicht wie eine von ihnen aus, mit ihrer zierlichen Figur und ihren immer noch achtlos getragenen dunklen Haaren; ihr Gesicht ist dünn und verhärmt geworden, ohne dass es den mädchenhaften frechen Stolz ganz verloren hat. Aber sie spricht mit dem scharfen Näseln der hiesigen Gegend, über das wir uns früher lustig machten, und während sie ihren Spaß hatte und trank, trug sie einen bewusst unerschrockenen Gesichtsausdruck zur Schau. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich alle Mühe gab, zu diesen Leuten zu gehören, und bald damit Erfolg haben würde. Ich hatte auch den Eindruck, dass sie mir das vorführen wollte, mir zeigen wollte, dass sie Schluss gemacht hatte mit jener geheimen, berauschenden,wahrhaft ungeheuerlichen Versnobtheit, der wir uns hingegeben hatten, als wir zusammen Kinder waren und uns natürlich wesentlich Größeres versprachen als Jubilee.
    Während des Spiels, in dem alle Frauen ein Kleidungsstück – es beginnt harmlos mit einem Schuh – in einen Korb legen, und dann kommen alle Männer herein und wetteifern miteinander, die richtige Besitzerin zu finden, ging ich hinaus und setzte mich ins Auto, wo ich mich nach meinem Mann und meinen Freunden sehnte, der ausgelassenen Party und dem Plätschern der Wellen am Strand lauschte und irgendwann einschlief. Maddy kam eine ganze Weile später und sagte: »Also wirklich!« Dann lachte sie und sagte leichthin wie eine Dame in einem englischen Film: »Sie finden dieses Treiben geschmacklos?« Wir lachten beide; ich verspürte ein wenig Reue und große Übelkeit, weil ich zu viel getrunken hatte, ohne betrunken zu werden. »Intellektuelle Gespräche mögen nicht ihre Stärke sein, aber sie haben das Herz am rechten Fleck, wie es im Sprichwort heißt.« Ich focht das nicht an, und wir fuhren mit achtzig Meilen in der Stunde von Inverhuron nach Jubilee. Seitdem sind wir nicht mehr auf Partys gewesen.
    Aber wir sind nicht immer allein, wenn wir auf den Stufen sitzen. Oft gesellt sich ein Mann namens Fred Powell zu uns. Er war auch auf der Party, wo er friedlich im Hintergrund blieb, sich daran erinnerte, wem welches Glas gehörte, und freundlich jemandes Kopf über das morsche Verandageländer hielt. Er ist in Jubilee aufgewachsen wie wir, aber ich konnte mich nicht an ihn erinnern, vermutlich, weil er die Schule einige Jahre vor uns durchlief und sich dann zum Kriegsdienst meldete. Maddy überraschte mich an meinem ersten Tag hier damit, dass sie ihn zum Essen mit nach Hause brachte, und dann vertrieben wir uns den Abend damit, wie übrigens

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