Tanz des Verlangens
Moment zählte.
Alles Übrige waren nur unwichtige Einzelheiten.
33
Innerhalb von Sekunden nachdem Néomi zaghaft an den Spiegel im Studio geklopft hatte, erschien Mari, eifrig bemüht, den Anblick ihres eigenen Spiegelbildes auf der anderen Seite zu vermeiden.
„Augenblick mal, ich muss dich erst noch auf den Bildschirm holen. Okay, ich seh dich!“
Néomi hatte gewusst, dass sie das Spiegelportal ohne Mari nicht würde durchqueren können, aber sie war davon ausgegangen, dass sie zumindest mal an die Tür klopfen könnte.
„Das wurde aber auch Zeit, dass du dich bei mir meldest!“ Mari streckte die Hand durch die Spiegeloberfläche hindurch aus. „Willst du kurz rüberkommen?“
„Conrad ist sicher gleich wieder zurück, und dann könnte ich ihn nicht hören. Kannst du vielleicht herkommen?“
„Geht nicht.“ Mari schnipste jemandem mit den Fingern zu, den Néomi nicht sehen konnte, und ein junges Mädchen brachte Mari einen riesigen Becher, auf dem groß „Slurpee“ stand. „Wir haben heute neue Hexen im Koven, die wir ein bisschen rumschikanieren können. Die unschuldigen Lämmer wetteifern um mein altes Zimmer.“ Sie ließ sich auf einen bequemen Stuhl fallen. „Also müssen wir mit einer Telefonkonferenz via Spiegel vorliebnehmen.“
Néomi zerrte ihr Feldbett näher an den Spiegel heran und machte es sich darauf gemütlich. Sie freute sich darüber, mit Mari sprechen zu können, und das nicht nur zum Vergnügen. Es würde sie außerdem von ihrer Angst um Conrad ablenken, die sie jedes Mal, wenn er sie verließ, um auf die Jagd zu gehen, unweigerlich überkam.
„So eine bist du also – erst nutzt du meine Zauberkräfte aus, und dann lässt du geschlagene fünf Tage lang nichts von dir hören …“
„Ich war schrecklich beschäftigt!“ Conrad war ständig in ihrer Nähe, außer wenn sie schlief. An diesem Nachmittag war sie zufällig früh aufgewacht. „Wie geht’s dir nach der Versammlung? Ich hab gesehen, dass du getroffen wurdest.“
„Ach, mir geht’s gut, einfach prima. Aber du solltest mal den anderen Kerl sehen. Der wird bestimmt nie wieder einer Hexe aus Versehen den Ellbogen in die Seite rammen. Selbst nachdem sein Ellbogen nachgewachsen ist.“
„Gut zu wissen, glaube ich. War Nïx schrecklich enttäuscht, dass ihre Versammlung im Chaos geendet ist?“
„Ich hab sie genau dasselbe gefragt, aber sie hat nur gelacht. Irgendwann hat sie dann endlich zugegeben, dass sie das Ganze selbst in Gang gesetzt hat. Offensichtlich waren der Vampir und du nicht das einzige Paar, das sich in diesem Durcheinander gefunden hat.“ Sie zog die Beine an den Körper. „Also, ich geh mal davon aus, dass du den Vampir erweckt hast?“ Als Néomi glücklich nickte, legte Mari den Kopf zur Seite. „Wahnsinn, sieh dich nur an – du siehst fantastisch aus! Neue Frisur? Und neue Klamotten.“
Néomi errötete über das Lob. „Conrad ist mit mir einkaufen gewesen. Ziemlich oft.“ In den ersten Nächten hatte sie voller Aufregung Paris unsicher gemacht, vollkommen aus dem Häuschen wegen der neuen Mode. Und in einem der dortigen Läden hatte sie sich die Haare schneiden lassen, aber nur ein paar Zentimeter, da jeder einzelne Schnitt Conrad körperliche Schmerzen zu verursachen schien. „Ich hab ihm angeboten, selbst zu bezahlen, aber davon war er gar nicht begeistert. Und als ich ihm zu erklären versuchte, dass ich jede Menge Geld habe, hat er mir gar nicht zugehört.“
„Du hast … jede Menge Geld ?“, fragte Mari mit Unschuldsmiene.
Néomi unterdrückte ein Lächeln und setzte eine ernste Miene auf. „Oh ja. Ich hab mich mal um meine Zertifikate gekümmert. Offensichtlich stehen die IBM- und GE-Aktien, die in den Zwanzigern dreißigtausend Dollar wert waren, heute bei fast hundertfünfzig Millionen. Obwohl eine Hexe fünfundzwanzig davon hat mitgehen lassen.“
Mit weit aufgerissenen Augen rief Mari: „Wer? Was! Diese verdammten Hexen!“
Néomi kicherte. Sie hätte Mari auch alle gegeben.
„Wo wir gerade von Hexen reden – du hast den Weiberabend verpasst.“ Mari stellte ihren Slurpee hin und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich weiß ja nicht, ob Nïx dir das erklärt hat, aber die Teilnahme am WA ist nicht etwa freiwillig. Wenn du einen verpasst, gibt’s Strafpunkte. Und mit Strafpunkten meine ich, du musst ein paar verdammt durstigen Wiccae Drinks ausgeben.“
„Ich bin doch noch in der Flitterwochenphase. Gibt’s da keine Ausnahmen? Außerdem soll
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