Tanz des Verlangens
vieles zu verzichten. Es gibt eine Menge, wofür deine Braut dich entschädigen könnte.“
Mit einem Mal konzentriert er sich wieder auf seinen Bruder. Wag es ja nicht, Sebastian! Fang nicht damit an …
7
Sebastian fuhr mit leiser Stimme fort: „Würdest du nicht gerne noch einmal mit einer Frau ins Bett gehen? Es ist ja nicht so, als ob du ein Mann mit Erfahrung wärst, der mit jeder Frau geschlafen hätte, die ihm über den Weg lief, Conrad. Wenn du mir auch nur ein bisschen ähnelst, dann kannst du die Gelegenheiten an einer Hand abzählen.“
Conrad leugnete die Worte seines Bruders nicht, stattdessen knirschte er mit den Zähnen und schob den Unterkiefer nach vorn.
An einer Hand? Wie schrecklich, dachte Néomi und glitt zum Fußende seines Bettes, wo sie in sitzender Position in der Luft stehen blieb.
Auch wenn sie selbst nicht einmal annähernd so viele Liebhaber gehabt hatte, wie sie sich gewünscht hätte – der Gedanke an eine Schwangerschaft war für eine Ballerina einfach zu abschreckend –, hatte sie die wenigen in vollen Zügen genossen.
Selbst bei all dem Schmutz, der Conrads Gesicht bedeckte, und den Narben auf seinem Körper konnte sie doch erkennen, dass er ein gut aussehender Mann war. Frauen würden ihn attraktiv finden. Zumindest genug von ihnen, dass er mit einer ins Bett gehen konnte, wenn er es wollte. Auch Sebastian war sehr stattlich, und doch hatte er gesagt, dass er darauf hatte verzichten müssen. Sie hatte ihren Gesprächen über ihr kleines Land zugehört, dessen Bevölkerung durch Seuchen dezimiert worden war, in dem seit Jahrzehnten gekämpft wurde. Gab es dort keine Frauen, bei denen sie Trost und Unterstützung fanden?
„ Le dément … ist kein erfahrener Mann?“, murmelte sie in ihrer seltsamen, geisterhaften Stimme. „ Intéressant .“
Obwohl es ihr immer noch schwerfiel zu sprechen, staunte sie doch, um wie vieles leichter es bei jedem neuen Versuch wurde. Je mehr sie redete, umso einfacher wurde es – wie wenn man übte, durch knietiefes Wasser zu laufen. Nur schade, dass ihr niemand antwortete, wo sie doch gerade so gut darin war.
Doch selbst wenn niemand antwortete, fühlte sie sich … realer, seit sie angefangen hatte zu reden. Manchmal war sie sich wie der sprichwörtliche Baum im Wald vorgekommen. Man könnte fast behaupten, dass sie einfach deshalb gar nicht existierte, weil sie seit ihrem Tod niemand gesehen oder gehört hatte.
Sie seufzte und zog die Beine an die Brust. Als der Schlitz ihres Kleides verrutschte, verspürte sie den merkwürdigen Impuls, ihre Beine in Gegenwart des Vampirs zu bedecken. Aber warum nur? Niemand konnte sie sehen, und zu ihren Lebzeiten war sie alles andere als prüde gewesen. Im Grunde genommen eher das genaue Gegenteil.
Jegliche Hemmungen waren ihr in ihrer Jugend ausgetrieben worden. Sie war in einer winzigen Wohnung über einer burlesken Bar aufgewachsen, deren Publikumsmagnet schließlich ihre liebe maman gewesen war.
Von Kindesbeinen an war Néomi in den Umkleideräumen der Tänzerinnen ein- und ausgegangen, fasziniert von den Seidenstoffen, dem Make-up und den exotischen Parfums, gefesselt von der sinnlichen Musik, zu deren Klängen sie sich wiegte …
Und doch hätte sie schwören können, dass die Augen des Vampirs wollüstig aufgeblitzt hatten.
Nein. Es war an der Zeit, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Entweder empfand er ihre geisterhafte Erscheinung als wunderschön, beherrschte seinen Lidreflex und weigerte sich einfach, ihre Gegenwart zur Kenntnis zu nehmen – oder er war genau wie jeder andere, der im Verlauf der letzten acht Dekaden einen Fuß in dieses Haus gesetzt hatte.
Sie lachte ohne jeden Humor. „ Wenn ich davon überzeugt wäre, dass du mich sehen kannst “, begann sie langsam, „ würde ich noch weitaus mehr zeigen als bloß ein Strumpfband .“
Außerdem wäre Conrad sowieso nicht auf diese Art und Weise an ihr interessiert. Nicht ein Mal hatte er in der vergangenen Woche eine Erektion gehabt. Ob es ihm vielleicht nicht möglich war? Was war mit dem „Feuer“ gemeint gewesen, das seine Braut entfachen würde?
Von allen Themen, die die Männer diskutierten, faszinierte sie diese Vorstellung einer vom Schicksal zugewiesenen Braut am meisten.
Vorhin hatte sie Sebastian mit der seinen telefonieren hören. Er hatte ihr versichert, dass ihre Anwesenheit hier nicht notwendig wäre, dass sie lieber weiterhin bei ihren Schwestern bleiben solle und dass er bald nach Hause kommen würde.
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