Tanz des Verlangens
einfach zu zwingen, mit ihm ins Haus zurückzugehen. Wenn sie mit Händen zu greifen gewesen wäre, so würde er sie jetzt ohne jeden Zweifel über seine Schulter legen und fortschleppen. Dieser Berg von einem Mann war dabei, zu lernen, dass seine beträchtliche Körperkraft – auf die er sich offenbar in jeder Hinsicht verlassen hatte – bei ihr nichts ausrichten konnte.
Ausnahmsweise erwies sich ihre Körperlosigkeit als ein Vorteil. Wenn er mit ihr zusammen sein wollte, dann musste er sie entweder davon überzeugen zurückzukommen oder es vermeiden, dass sie ihn überhaupt erst verließ.
„Ich habe doch gesagt, heute Nacht nicht.“ Sich absichtlich von ihm fernzuhalten war für Néomi genauso schlimm wie für ihn. Aber sie durfte es nicht zulassen, dass er seine Wut an ihrem Haus – oder an ihr – ausließ.
„Mach, was du willst“, sagte er in schneidendem Ton und verließ sie. Zuvor jedoch hatte sie jenes verräterische Muskelzucken an seinem Kiefer entdeckt.
Es war spät nachts und sie war gerade dabei, in ihrem Studio einzudösen, als sie seinen Schrei hörte.
Noch bevor Néomi sich bewusst dafür entschieden hatte, hatte sie sich schon zu ihm transloziert. In der Sekunde, in der sie ankam, richtete er sich mit einem weiteren gellenden Schrei in seinem Bett auf, der so laut war, dass die Fensterscheiben klirrten.
Als sie an seine Seite eilte, schwang er die Beine über die Bettkante, um sich auf den Rand des Bettes zu setzen.
„Conrad, es ist ja schon gut. Das war nur ein Traum.“
Er hielt den Kopf in seinen gefesselten Händen, die Ellbogen auf die Knie gestützt, und wiegte seinen Körper vor und zurück. „Mein Kopf … zu voll.“ Er drückte so fest zu, dass sie schon befürchtete, sein Schädel würde gleich zerplatzen.
„Schsch, mon coeur .“ Sie streichelte ihm mithilfe ihrer telekinetischen Fähigkeiten über den Rücken. „Es ist vorbei.“
„Ich will nicht … Ich will nicht mehr so sein!“ Seine Stimme klang gequält.
„Es geht dir doch schon so viel besser“, murmelte sie. „Bald wirst du diese Albträume nicht mehr haben.“
Er sah sie aus schmalen Augen an, als ob er jetzt erst bemerkte, dass sie da war.
„Du wurdest … ermordet. Du erinnerst mich an die Dinge, die ich getan habe, an die Konsequenzen“, brachte er mit erstickter Stimme heraus. „Und du zeigst mir, was ich hätte haben können … wenn ich … anders gewesen wäre.“ Wieder packte er seinen Kopf mit beiden Händen. „Du bist es, was mit meiner Vergangenheit nicht stimmt“, murmelte er. „Was meiner Zukunft fehlen muss.“
Sie wusste, er würde sich später nur noch an wenig bis gar nichts von dem erinnern, was er sagte – aber sie schon.
„Conrad, deine Zukunft ist noch nicht festgelegt. In deinem Leben kann es wieder Gutes geben.“
„Du bist die perfekte Strafe für mich.“
„Oh.“ Wie betäubt erhob sie sich, um ihn zu verlassen.
Er streckte die Hand aus, um sie aufzuhalten. Als er seine große Faust um Luft schloss, wandte er sich um und hämmerte frustriert gegen das Kopfende des Bettes.
„Hat sich je ein Mann so sehr nach seiner Buße gesehnt?“, stieß er mit heiserer Stimme hervor, der Blick leer, die Augen glühend rot.
Sie sagte nichts, ließ sich nur wieder neben ihm nieder und strich ihm das Haar aus der Stirn. Sie hasste es, wenn er so litt, und wünschte, sie könnte ihm den Schmerz abnehmen. Er war einst ein Held gewesen, der sein Leben einer größeren Sache gewidmet hatte, aber jetzt litt er Todesqualen.
Néomi hatte gewusst, dass er ein gebrochener Mann war, der der Rettung bedurfte. Im Verlauf der letzten drei Tage hatte sich ihre Überzeugung gefestigt, dass er es verdiente , gerettet zu werden. In genau diesem Augenblick wurde ihr klar, dass das vielleicht ihre Aufgabe sein würde.
Aber wie konnte sie ihm helfen? Sie seufzte und brachte ihn durch sanftes Zureden dazu, sich wieder zurückzulegen. Néomi war Tänzerin gewesen, in einer Halbwelt aufgewachsen, in der man sich für wenig mehr als ausgelassene Lustbarkeiten und Trinken interessierte. Was wusste sie schon darüber, wie man Vampire vom Rande des Abgrunds zurückbrachte?
Sie würde einfach die Werkzeuge nutzen müssen, die ihr zur Verfügung standen. Und wenn sie es recht bedachte – die medizinische Wirksamkeit von Scotch und Lachen wurde doch eindeutig unterschätzt.
19
„Wer ist deine beste Freundin, mon grand ?“, gurrte sie, während sie zwei Flaschen in der Luft schweben ließ.
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