Tanz des Verlangens
zum Geschäftlichen.“
„Möchtet ihr euch vielleicht setzen?“ Es war so unwirklich, Gäste zu haben!
Mari nickte, versetzte ihrer Aktentasche einen Tritt, sodass sie am Kaffeetisch vorbei zum Bett rutschte, und setzte sich. Nïx hüpfte auf den Tisch, auf dem Néomi ihre Sammlung ausgebreitet hatte, und hockte sich auf den staubfreien Platz, an dem das Grammofon gestanden hatte. Sie musterte Néomis Sammelsurium von Kondomen, BHs und Mardi-Gras-Krimskram, sagte aber nichts.
„Ich würde euch ja Kaffee anbieten …“
„Ich nehme weder feste Nahrung noch Getränke zu mir“, erklärte Nïx mit ruhiger Stimme.
„Und Kaffee nach den ganzen Margaritas würde bedeuten, den Zorn des Cuervo herauszufordern“, fügte Mari hinzu. Sie zog einen Stift und einen Notizblock aus ihrer Tasche. „Also, Néomi, zuerst mal ein paar Hintergrundinformationen, nur für meine Akten … Warum hast du dich ausgerechnet jetzt mit mir in Verbindung gesetzt? Ich meine, du bist schließlich schon seit Jahrzehnten ein Geist.“
„Na ja, ich wusste ja nicht einmal von der Existenz der Mythenwelt, bis vor ein paar Wochen die Vampire eingezogen sind. Ich hatte keine Ahnung, dass es Hexen gibt oder Walküren …“
„ Vampire sind eingezogen?“, unterbrach Mari sie mit einem raschen Blick auf Nïx. „Komisch. Ich habe erst kürzlich einen fremden Vampir in einer Bar am Bayou gesehen. Was für ein Zufall.“
Nïx formte die Worte „ Wer? Waaas?“ mit den Lippen.
„Ja, sie kommen aus Estland“, sagte Néomi, und schon sprudelte die ganze Geschichte aus ihr heraus. „… und dann hat sich Conrad die Hand abgehackt und mich einen jämmerlichen, mitleiderregenden Geist genannt, und das konnte ich nicht ertragen. Und damit war der Zeitpunkt gekommen, wo ich dich angerufen habe.“
„Du strebst doch nicht wegen des Vampirs nach einem Körper, oder?“, fragte Mari. „Um ihm zu zeigen, was er verpasst? Denn das ist schon eine wirklich ernste Sache.“
Selbst wenn Néomi Conrad niemals wiedersehen würde, musste sie irgendetwas unternehmen. Denn ich hasse das, was aus mir geworden ist. „Ich strebe danach, weil es an der Zeit ist.“
„Okay, dann werde ich dir mal alles erklären.“ Mari legte den Stift hin. „Ich kann dir bei deinem Körperlosigkeitsproblem helfen, aber es wäre nur vorübergehend, und es wird dich einen hohen Preis kosten. Damit meine ich nicht nur die monetäre Seite. Es handelt sich im Grunde genommen um einen Hüllenzauber, mit dessen Hilfe ein Körper geschaffen wird, der dem Schicksal sozusagen für Schießübungen dient. Durch diesen Zauber wirst du genauso aussehen und fühlen wie der Mensch, der du einmal warst, aber du wirst … na ja, wenig später wirst du getötet werden.“
„Aber wieso?“
„Manche Leute nennen das, worüber wir gerade sprechen, ein Ave-Maria-Mortalitäts-Schauspiel. Es wäre doch möglich, dass du anfängst, früheres Unrecht wiedergutzumachen, indem du Wissen aus deinem Leben nach dem Tode benutzt, um die Gegenwart zu verändern. So was gefällt dem Schicksal überhaupt nicht, und darum setzt es dir ein gewaltsames Ende“, erklärte Mari. „Es ist so, als ob du mit einer leuchtenden Zielscheibe auf dem Rücken herumläufst. Früher oder später wirst du durch irgendeine gewaltsame Ursache ausgemerzt werden – durch einen Wagen, dessen Fahrer die Kontrolle verloren hat, oder einen Flugzeugabsturz, oder du stirbst an einem Stromschlag deines Föns. Jedenfalls wird irgendetwas ziemlich Grauenhaftes passieren. Deine körperliche Hülle wird sterben, dann verschwinden, und damit wird auch dein Geist sterben – Ende und aus.“
„Wie viel Zeit würde ich haben?“
„Ein, zwei Wochen? Eine Nacht? Vielleicht ein paar Monate. Das kann man nicht sagen. Aber die längste Zeitspanne, von der ich in einem Internetforum gelesen hab, betrug ein Jahr.“
Néomi schluckte. „Was passiert nach dem Tod?“
„Da sitzt der Haken. Das weiß niemand. Das ist so eine Sache zwischen dir und deinem Gott, deinen Göttern, Göttinnen et cetera.“
„Na ja, wo wir nun schon mal dabei sind“, sagte Néomi, „hab ich noch eine Frage: Gibt es denn irgendeine Möglichkeit, einen Körper für ein ganzes Menschenleben zurückzubekommen? Vielleicht hab ich ja genug Geld für eine komplette Wiederauferstehung?“
Mari und Nïx sahen einander an. „Damit will ich nichts zu tun haben. Aber was du willst, ist auch keine Wiederauferstehung. Dein Geist ist ja hier und steht zur Verfügung.
Weitere Kostenlose Bücher