Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
langweiliges Spiel, und ich hatte ohnehin keine Lust auf Baseball. Aber ich wollte lebendige Menschen in Aktion sehen. Es hätte auch Badminton sein können oder Wasserball. Ohne den Spielverlauf zu verfolgen, sah ich einfach nur zu, wie Bälle geworfen und geschlagen wurden, wie Spieler rannten. Ganz entfernte Lebensfragmente von Personen, die mit mir nichts zu tun hatten. Als würde ich dahinziehende Wolken am Himmel betrachten.
    Um neun versuchte ich es noch einmal. Gleich nach dem ersten Klingelzeichen hob sie ab. Ich konnte es überhaupt nicht fassen. Mir war, als sei der Faden, der mich mit der Welt verknüpfte, mit einem plötzlichen, gewaltigen Ruck zerrissen. Mir schwanden die Kräfte, und geballte Luft stieg mir die Kehle hoch.
    Yumiyoshi war tatsächlich da.
    »Ich bin eben von der Reise zurückgekommen«, sagte sie ganz cool. »Ich hatte mir ein paar Tage frei genommen und bin nach Tokyo gefahren. Zu Verwandten. Ich habe übrigens zweimal bei dir angerufen, aber du warst nicht da.«
    »Ich bin in Sapporo und habe die ganze Zeit versucht, dich zu erreichen.«
    »Dann hätten wir uns beinah verpasst.«
    »Beinah verpasst«, wiederholte ich. Den Hörer fest umklammernd, schaute ich auf den tonlosen Bildschirm. Mir fehlten die Worte. Ich war völlig durcheinander. Wie sollte ich das nur ausdrücken?
    »He, hallo … bist du noch dran?« fragte sie.
    »Ja, ich bin da.«
    »Du klingst so merkwürdig.«
    »Ich bin nervös«, erklärte ich. »Ich muss dich sehen, so kann ich nicht reden. Ich stehe schon die ganze Zeit unter Hochspannung. Telefonieren genügt nicht.«
    »Morgen Abend können wir uns treffen«, sagte sie nach kurzem Überlegen. Ich stellte mir vor, dass sie gerade einen Finger an den Brillensteg legte.
    Den Hörer am Ohr, setzte ich mich auf den Boden und lehnte mich an die Wand. »Hör mal, morgen könnte es zu spät sein. Ich will dich noch heute Abend sehen.« Ablehnung drang durch die Leitung. Obwohl Yumiyoshi noch gar nichts gesagt hatte, spürte ich genau, dass sie absagen wollte.
    »Ich bin völlig erledigt. Hundemüde. Ich sagte doch, dass ich eben erst nach Hause gekommen bin. Das würde jetzt nichts bringen. Außerdem muss ich morgen früh arbeiten. Ich will nur noch ins Bett. Morgen können wir uns nach meinem Dienst treffen. Was hältst du davon? Oder bist du morgen gar nicht mehr da?«
    »Doch, doch, ich bleibe eine Weile. Ich verstehe ja, dass du kaputt bist, aber offen gesagt, mache ich mir Sorgen. Bis morgen könntest du längst verschwunden sein.«
    »Verschwunden?«
    »Aus dieser Welt verschwunden. Spurlos.«
    Yumiyoshi lachte. »Man verschwindet doch nicht so mir nichts, dir nichts. Da mach dir mal keine Sorgen.«
    »Nein, nein, du verstehst mich nicht. Wir befinden uns doch ständig in Bewegung. Und dabei verschwinden alle möglichen Dinge, die uns umgeben – das lässt sich nicht verhindern. Nichts bleibt bestehen, nur im Bewusstsein. Aber aus der realen Welt verschwindet alles – darüber mache ich mir Sorgen. Hörst du, Yumiyoshi, ich brauche dich. Ich brauche dich ganz real. Es kommt höchst selten vor, dass ich nach etwas ein so starkes Verlangen habe, darum darfst du nicht verschwinden.«
    Sie dachte über meine Worte nach. »Du bist ja vielleicht seltsam«, sagte sie dann. »Aber ich verspreche dir, ich werde nicht verschwinden. Morgen sehen wir uns, bis dahin musst du dich gedulden.«
    »Na gut.« Ich gab mich geschlagen. Es blieb mir nichts anderes übrig. Zum Glück wusste ich jetzt, dass es sie noch gab.
    »Also dann, gute Nacht«, sagte sie und legte auf.
    Eine Weile ging ich im Zimmer auf und ab, dann fuhr ich zur Bar im sechsundzwanzigsten Stock hinauf und bestellte mir einen Wodka-Soda. Hier war ich Yuki zum ersten Mal begegnet. Es herrschte Betrieb. Zwei junge Frauen saßen an der Bar und tranken, beide sehr modisch gekleidet; die eine hatte sehr schöne Beine. Ich setzte mich mit meinem Drink an einen Tisch und beobachtete sie ohne besonderes Interesse; dann blickte ich hinaus auf das Lichtermeer der Stadt. Ich presste die Finger gegen die Schläfen, obwohl sie gar nicht mehr schmerzten. Und ich begann meine Kopfform zu ertasten, meinen Schädel. Während ich behutsam die Knochen unter der Haut erforschte, stellte ich mir die Skelette der beiden Frauen auf den Barhockern vor – Schädel, Wirbelsäule, Rippen, Becken, Extremitäten, Gelenke. Schöne weiße Knochen in diesen wundervollen Beinen. Weiß wie Wolken, makellos, ohne Ausdruck. Die mit den tollen

Weitere Kostenlose Bücher